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stalten, die ausschließlich den Unterrichts zwecken dienten und unabhängig von Gemeinden
und geistlichen Stiftungen nur der Aufsicht des Staates unterworfen waren.«
1844/45 beschäftigt sich Kußmaul mit der Konstruktion eines Augenspiegels: »Es gereicht
mir noch heute zur großen Freude, als Student zuerst die Bedeutung eines Problems
erkannt zu haben, das freilich nur das Genie eines Helmholtz zu lösen vermochte.
Ich gab meine Abhandlung vor meinem Abgang von der Universität an Ostern 1845 heraus
. Sie führt den Titel: 'Die Farbenerscheinungen im Grunde des menschlichen Auges
Ich beschrieb darin den Augenspiegel, den ich konstruiert hatte ... Mein Augenspiegel
war der beste der Welt, denn es gab nur einen, den meinigen, aber er hatte den Fehler,
man konnte damit nicht sehen ... Die Fakultät erteilte mir den Preis ... überschüttete
meine Abhandlung mit Lob ... ich wußte es besser als die Fakultät: gerade an dem Angelpunkte
war ich gescheitert. Der Schlüssel des Geheimnisses steckte in der Optik, meine
Kenntnisse reichten nicht aus ...«. Humorvoll gibt sich in solchen Schilderungen auch
Episodisches: Kußmaul hatte seine Abhandlung in lateinischer und in deutscher Sprache
abgefaßt - »Der Fürwitz trieb mich, an dem lateinischen Hefte ... einige Blätter an den
Ecken, je zwei zusammen, einzubiegen; ich wollte sehen, ob das lateinische gelesen würde
, wie ohne Zweifel das deutsche. Als ich beide zurückerhielt, waren die lateinischen
Blätter noch immer fest an den Ecken verbunden, die deutschen gelöst ...«.
Sehr selbstbewußt beginnt Kußmaul seine »Poliklinische Lehrzeit«. Obschon sein
Vater ihn davor warnt, auf sich allein gestellt zu ordinieren, wagt der junge Kliniker so
allerlei: »Mein Ruf verbreitete sich rasch.« Er verarztet einen alten Kranken nach bestem
Gewissen. Eine Mandelentzündung hindert ihn an kontinuierlichem Besuch. »Da ich
keine Nachrichten mehr aus Neuenheim erhalten hatte, mußte mein Kranker genesen
sein. Mein erster Gang galt ihm ... Sein Bett war leer. Eine Frau in tiefer Trauer begrüßte
mich: 'Herr Doktor, sie suchen den Jakob. Er ist bald nach Ihrem letzten Besuche ... aus
diesem irdischen Leben geschieden. Gestern haben wir ihn beerdigt. Ihre Arzneien haben
ihm bis zur letzten Stunde gut gethan.' - Was hatte mein Vater gesagt? 'Es wird
schon kommen!' - Mein erster Patient hatte das Zeitliche gesegnet ...«.
»Vor und nach der medizinischen Staatsprüfung« ist das »Fünfte Buch« überschrieben
. Prüfungsvorbereitungen, unterlassenes Doktordiplom (»Das Heidelberger Doktordiplom
wird allenthalben respektiert, nur nicht in der Türkei und im Großherzogtum
Baden!«) und Staatsprüfung werden darin offen und ehrlich und stets mit persönlicher
Note erzählt.
»Sobald ich im Besitze des ärztlichen Lizenzscheines war, hatte ich nichts Eiligeres zu
thun, als mich zu verloben.« In heiterer Weise schildert Kußmaul darin ein zunächst
flüchtiges Bekanntwerden mit der Freundin der Schwester eines Studienfreundes, der er
mangels Zeit, sich zu erklären (er hatte mit einer Liebe auf den ersten Blick Feuer gefangen
), im Postwagen folgt, bis er in Sinsheim anstandshalber zurückbleiben muß: »Der
Wagen fuhr von dannen, betrübt sah ich ihm nach. Ich gelobte mir still...: 'Diese tapfere
und heitere Kleine muß dir zu eigen werden, dein guter Kamerad auf der Fahrt durchs
Leben!' - Sie ist es mir geworden, heiter und mutig in guter und schlimmer Zeit ...«.
In den nachfolgenden Kapiteln läßt sich Kußmaul u. a. über allerlei »Wunderkuren«,
auch über »Purgierkuren und Blutentziehungen«, wie sie damals gang und gebe, aus.
»Reisebilder« im Sinn von Wander- und Lehrjahren schließen an. Uber Augsburg
reist er nach München, wo er von dortigen medizinischen Gepflogenheiten allerdings
enttäuscht wird. Er hört sich u. a. eine Vorlesung über »die Augenentzündung beim
Weichselzopf« an: »Dieser Zopf ist heute mit vielen andern Zöpfen aus der Medizin beseitigt
. Damals galt er noch für ein endemisches, an klimatische Schädlichkeiten der
Weichselländer gebundenes Leiden des Kopfhaars, in Wirklichkeit aber ist er ein Erzeugnis
der Unreinlichkeit ihrer Bewohner, die zur unlösbaren Verfilzung der Haare
führt, und weicht der Schere und Seife ...«.
Erfrischend gibt sich auch das angeschlossene Kapitel über die Tänzerin und Königsgeliebte
Lola Montez, in diesem Zusammenhang verweist er auch auf die entsprechende
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