http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-02/0157
Kritik der »Fliegenden Blätter«. Von München aus besucht Kußmaul Südbayern und Tirol
, übers Salzburger Land wendet er sich Wien zu.
»Siebentes Buch. - Wien und Prag«. Es gibt hier ebenso »Politische Streiflichter« wie
Besuche »Im allgemeinen Krankenhause«. Semmelweis ist ein eigener Absatz gewidmet,
die pathologische Anatomie und die »junge Wiener Schule« werden ebenso angegangen.
Der Forschung war hier der Vortritt gegeben: »Lehrer und Schüler vergaßen die eigentliche
Aufgabe der Medizin: das Heilen ...«. Weiter geht's nach Prag, von der dortigen Fakultät
zeigt sich Kußmaul sehr angetan. Der mit ihm reisende Freund möchte ihm finanzielle
Mittel vorstrecken, daß man gemeinsam noch Berlin und Virchow besuchen könne
. Doch der Sturz des französischen Bürgerkönigs Louis Philippe und die dort proklamierte
Republik vereiteln solche Pläne: »Es trieb uns heim an den Rhein.« Uber Dresden
und Leipzig kehrt Kußmaul im März 1848 nach Wiesloch zurück. »Mein Vater riet mir
dringend, mich zum Militärdienste zu melden, denn die erschütterte Ordnung hatte für
Handel und Kredit schlimme Folgen; er sah richtig voraus, daß die Privatpraxis in den
nächsten Jahren wenig abwerfen werde.« Als Feldarzt zieht er mit der badischen Brigade
im Bataillon Holtz im August 1848 nach Schleswig-Holstein. Im Oktober wird er zum
Oberarzt befördert. Kußmaul bewährt sich als Seuchenarzt. Im Herbst kehrt sein Bataillon
ins badische Oberland zurück, den Winter über fand sich Kußmaul »in Lörrach gut
aufgehoben«. Zusammen mit dem Bataillonsadjutanten nahm ihn Rudolf Hofer, ein
Schweizer Fabrikant, in Lörrach ansässig, in sein Haus auf. »Meine ärztliche Thätigkeit
befriedigte mich, sie beschränkte sich nicht mehr auf das trostlose Einerlei des Bataillonsdienstes
; der Kommandant der Brigade, Oberst von Rottberg, überwies mir das in
Lörrach neu eingerichtete Feldspital zur Besorgung«, heißt es im Kapitel »Der Winter
1848/49 in Lörrach«. Lörrach selbst war damals offiziell eine »Amtsstadt im Oberrheinkreise
«, es zählte knapp 3000 Einwohner in ca. 250 Häusern. Der Ausgabe des »Univer-
sal-Lexikons vom Großherzogthum Baden« von 1847 entnehmen wir ferner, daß es hier
»mehrere Fabriken gibt, von welchen die Zitz- und Kattunfabrik des Herrn Köchlin ausgezeichnet
ist... außer dieser sind in Lörrach eine Tabaksfabrik, mehrere Seidenweber,
Halbleinfabriken usw., und viele Einwohner des Städtchens erhalten dadurch ihren genügenden
Unterhalt ...«. An den lebhaften Handel, der allerdings durch die Revolutionsgeschehnisse
bereits Einbußen erlitt, sei ebenso erinnert wie an das »Pädagogium
mit einer höheren Bürgerschule«. Kußmaul hatte sich bald gut eingelebt, und er »machte
in jenem Winter nützliche Erfahrungen über vorgeschützte Krankheiten.« Wie er im
einzelnen aufzeigt, gab es für ihn tatsächlich zahlreiche Fälle von Simulantentum, beispielsweise
wurde Epilepsie für Trunkenheit vorgetäuscht!
Im Frühjahr 1849 gelangt Kußmauls Bataillon erneut zum Einsatz im Holsteinischen.
Vorweg galt es, die Verwundeten aus der Schlacht bei den Düppeler Schanzen zu behandeln
. Der preußische Waffenstillstand von Malmö (am 12. Juli) sowie die Meuterei der
badischen Truppen in Rastatt nötigten ihn dann zu rascher Rückkehr. Zuerst als Demokrat
verdächtigt (ein damals massives Verdachtsmoment!), wurde er schließlich doch
nach der Festung Rastatt kommandiert. Am 23. Juli hatten sich die Aufständischen den
preußischen Truppen bekanntlich auf Gedeih und Verderb ergeben müssen. Im Kapitel
»In Rastatt« behandelt Kußmaul diese Ereignisse mit großer Sachlichkeit und vom gemäßigten
Standpunkt aus; er leistete so einen wertvollen Beitrag zu einem diffizilen Kapitel
badischer Geschichte. In einem Notlazarett hatte er gegen 200 Kranke zu behandeln
. »Mein Dienst war schwer und kaum zu bewältigen. Nach 14 Tagen erhielt ich Aushilfe
... Ich wohnte und speiste in der Stadt, ging schon früh um 7 Uhr in das Fort... und
hatte oft bis 8 oder 9 Uhr [abends] darin zu thun. Außer dem Hospitaldienst hatte ich
häufig krank Gemeldete in den Kasematten zu besuchen ...«. Ungeziefer und Fälle von
Ruhr gehörten zu den verbreitetsten Krankheiten, die es für den jungen Arzt zu bekämpfen
galt. Er berichtet auch von den zahlreichen, teils geglückten, teils gescheiterten
Fluchtversuchen der Gefangenen: »... die wiederholten Entweichungen aus meinem
Hospital müßten mir äußerst unangenehm sein«, bemerkten Kußmaul gegenüber wach-
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