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habende Offiziere bzw. Unteroffiziere. »Diese Bemerkung ärgerte mich, und ich war so
unvorsichtig, ihnen zu erwidern, sie verwechselten ihre militärische Aufgabe mit meiner
ärztlichen ...«.
»Menschen der verschiedensten Art, von feinster Bildung und größter Roheit, Idealisten
und gemeine Lumpen, Biedermänner und Halunken haue das Jahr 1849 in den Kasematten
Rastatts zusammengeführt ...«, heißt es im angeschlossenen Kapitel »Weitere
Erlebnisse in Rastatt«. Und weiter unten: »Man wird es begreiflich finden, daß ich des
Rastatter Aufenthalts und des Militärdienstes überhaupt von Woche zu Woche müder
wurde ... Ein unglaublicher Befehl erschien an dem Tage, wo ich meinen Dienst in Rastatt
andern Händen übergab ... [Man erzählte uns] von einem eben erschienenen Befehle
des Kommandanten, wonach sich von nun an niemand mehr an dem Fenster zeigen dürfe
, widrigenfalls die Wache scharf hinein schießen werde ... Uns Ärzten war keine Mitteilung
des Ukas zugegangen ...«. Kußmaul meldet sich in Karlsruhe und erhält am 16.
Dezember die badische »Felddienstmedaille für treuen Dienst im Krieg«, am 27. Dezember
nimmt er seinen Abschied.
Das Neunte und letzte und für uns besonders interessante und aufschlußreiche Buch
behandelt des jungen Arztes Kanderner Jahre (1850-55). Einer mehr oder weniger zeitgenössischen
Quelle (»Das Großherzogthum Baden ... beschrieben von A. J. V. Heu-
nisch«, Heidelberg 1857) entnehmen wir die Angabe: »Kandern, St. [adt] (mit Glashüttenhof
und Platzhof), zus. 272 F. [amilien], 1399 E., 1296 evang., 98 kath., 5 Dissid. [en-
ten] und Menon. [iten]. Bedeutende Papierfabrik, Seidenspinnerei, Wollspinnerei und
Halbtuchfabrikation, Weinhandel, Getreideverkauf auf sehr belebten Wochenmärkten,
großes Eisenwerk mit jährlicher Produktion von etwa 14.000 Centnern erhalten den
Wohlstand des Städtchens, welches ein Spital, eine Lesegesellschaft und Sparkasse hat...
1848 Uberfall der Aufständischen durch Struve.«
Kußmaul berichtet davon, daß er »an der Schlei und der Eider oft sehnsüchtig der
herrlichen Landschaft in der badischen Heimat oben bei Basel gedacht, wo der Rheinstrom
nach dem Norden sich wendet und Wiese und Kander ... sich mit ihm vermählen.
Der gesegnete Winkel umschließt die Ämter Lörrach, Schopfheim und Müllheim, den
südlichsten Teil der altbadischen oberen Markgrafschaft, das Heimatland Hebels, verklärt
von dem Schimmer der Poesie ...«. Es gelingt Kußmaul, eine der beiden Kanderner
Arztpraxen zu übernehmen: »In den ersten Tagen des März [1850] folgte ich dem willkommenen
Rufe. Mit rührender Geduld harrte meine Braut des Bräutigams, des fahrenden
Doktors ...«. Die Hochzeit hätte im Sommer stattfinden sollen, doch Kußmauls
Vater starb, so daß es Spätherbst bis zur Heirat wurde.
Für ihn bedeutet die Kanderner Praxis »ein friedliches Idyll« gegenüber der Holsteinischen
und Rastatter Zeit. »Es gelang mir rasch, Vertrauen und Praxis zu erwerben ...
Meine ärztliche Thätigkeit gewährte mir volle Befriedigung und ein mehr als ausreichendes
Einkommen« [keine Landarzt- und Schwarzwaldpraxis, wie sie Bougine ausübte —
vgl. unsere Ausführungen im »Markgräflerland« 1/1982]. Allerdings räumt Kußmaul
ein, daß die »gesellschaftlichen Verhältnisse« jener ersten Nachrevolutionsjähre ihm
mitunter »greulich zerrüttet« erschienen: »die Bürgerschaft tief gespalten, selbst in dem
Schöße der Familien hauste die Zwietracht. In den kleinen Gemeinden des Großherzogtums
hatte die Revolution den bürgerlichen und häuslichen Frieden noch tiefer untergraben
, als in den großen. In den Landstädten wohnten die Leute zu nahe beisammen, die
steten Berührungen wurden zur dauernden Reibung, die politische Gegnerschaft zur
Todfeindschaft ... Seit der Aufstand niedergeschlagen war, hatte sich die Stellung der
Parteien von Grund aus verändert. Die oben gewesen, lagen jetzt unten, besiegt, schwer
getroffen, unzählige Hochverratsprozesse gingen den unbarmherzigen Gang des Gesetzes
...«. In schlichten, aber eindringlichen Sätzen konstatiert Kußmaul so die damalige
politische und soziale Situation der Restaurationszeit. »Die ersten Jahre nach der Revolution
waren im ganzen Lande schrecklich. Allmählich glätteten sich die Wogen. Unter
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