Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fm
Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 2.1984
Seite: 157
(PDF, 33 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-02/0159
dem milden Szepter des Fürsten [= Großherzog Friedrich I.] ... kamen wieder bessere
Tage ...«.

In einem eigenen Unterkapitel, »Land und Leute« überschrieben, schildert Kußmaul
dann sein Kandern und seine Eindrücke wie seine Praxis. »Hinter Kandern erhebt sich in
üppigem Waldschmuck einer der schönsten Schwarzwaldberge, der Hochblauen ... Milder
, als auf den Schwarzwaldbergen, wehen die Lüfte auf den Vorlandhügeln ... Meine
Praxis umfaßte das Gebiet vom Hochblauen bis zum Isteiner Klotz. Zu Fuß, zu Pferd
und im leichten Wagen besuchte ich die zahlreichen Ortschaften. Liebliche Landschaftsbilder
entzückten mich in den Thälern, großartige Panoramen auf den Höhen.« Er hebt
Bürgeln und die Ruine Sausenburg besonders hervor und unterscheidet streng zwischen
den Bewohnern der Ebene und der Vorberge einer- und den »Wäldern« andererseits.
»Obwohl sie eines Stammes und eines Bekenntnisses, des evangelischen, sind, und die
Weiber die gleichen Flügelhauben und 'Fürtücher' (Brusttücher) tragen, waren sie doch
damals ungleich in Gesittung ... Die auffallende Verschiedenheit mochte ihren Grund
teils in der größeren Abgeschlossenheit der Gebirgsorte, teils und mehr noch in deren
rauherem Klima haben.« Kußmaul unterscheidet in seinen Betrachtungen ebenso zwischen
den Häusern und Höfen der Ebene und des Gebirges (Stein- und Holzbauten) mit
Talg- und öllicht bzw. Lichtspäne, und zudem: »Bei dem Wälder stand die 'heilsame
Dreckapotheke' des gelehrten Paullini von 1696, oder richtiger der Unrat, den er empfahl
, noch in großem Ansehen. Ein Dorf Schmied im Gebirge verordnete einem Kranken
mit Darmverschlingung und Miserere nach dem Grundsatze Hahnemanns: 'similia simi-
libus' (Aehnliches durch Aehnliches), eine Abkochung von Roßäpfeln ... Und der
schauderhafte Trank wurde getrunken.«

Aufschlußreich auch diese und jene Angaben über damalige Gepflogenheiten, so etwa
: »Für den Doktor, den sein Beruf erst spät abends das Bett hatte aufsuchen lassen,
kam namentlich der Wälder allzu frühe von den Bergen herab, um ein Rezept, vielleicht
den Doktor selbst zu holen.« Aber dann auch: »Man mußte sich ... in der gastfreien, rebengesegneten
Markgrafschaft hüten, bei jedem Besuche das vorgesetzte Krüglein zu
leeren. Kaum war man ins Haus getreten, so wurden in der Regel Kanderner Bretzeln,
ein gefüllter Weinkrug mit Gläser aufgetischt. Die Bretzelchen, kleine, knusprige Laugenbretzelchen
, sind heute in ganz Deutschland als Freiburger bekannt und beliebt; das
Gebäck ist eine Kanderer Erfindung und war damals kaum über das Gebiet der oberen
Markgrafschaft hinaus bekannt. Später kamen sie, durch einen spekulativen Freiburger
Bäcker, allgemach bis nach Norddeutschland, sie werden jedoch weit stärker gesalzen,
als früher, und dienen in den Bierwirtschaften hauptsächlich dazu, den Gaumen der Gäste
durstig zu stimmen und zum Trinken zu reizen.« Kußmaul referiert im folgenden
u. a. auch »von den Rebsorten, die ... gepflanzt werden, es sind hauptsächlich die verschiedenen
Arten der 'Gutedel', deren Trauben den Wein liefern, der als 'Markgräfler'
geschätzt ist. Seine Blume ist mild und schwach«, drückt er sich aus, »sein Gehalt an Alkohol
gering, er erhitzt wenig, ist mäßig genossen ein angenehm erheiterndes, ungefährliches
Getränke, auch sehr haltbar. Bei den reichen Bauern lagerte noch 'Komentenwein'
von 1811 [!], als Merkwürdigkeit wurde sogar da und dort noch hundertjähriger Wein in
Flaschen bewahrt ...«. Zusammenfassend meint Kußmaul: »Als ich in der Markgrafschaft
praktizierte, mag dort in den Reborten mehr Wein als Wasser getrunken worden
sein. Der Wein war der eigentliche Haustrunk ... galt für ein Stärkungsmittel, sogar die
Hebammen [auch das Verabreichen von Wein an Kinder, ja sogar an Kleinkinder] huldigten
irrigen und gefährlichen Glauben. Sie ließen die Frauen, um die Geburt zu erleichtern
, ein Glas um das andere trinken ...«.

Dennoch darf es nicht verwundern, daß das Markgräflerland für Kußmaul bald zu einer
zweiten Heimat wurde. Und »so begreift es sich denn auch, daß es in der Markgrafschaft
nicht an alten Leuten fehlte, deren weinfrohe Philosophie an die des weisen Hafis
erinnerte«. Begreiflich, daß es dem musisch aufgeschlossenen jungen Arzt »keine Ruhe

157


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-02/0159