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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
46.1984, Heft 2.1984
Seite: 160
(PDF, 33 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1984-02/0162
Heimat...«. Kußmaul erinnert sich in diesem Zusammenhang auch, daß einige der Sauterschen
Reimereien zum Volkslied geworden waren (u. a. das »Kartoffellied« und das
»Lied vom Dorfschulmeisterlein«). »Mein unerwarteter Fund gab Anlaß zur Einführung
des Dichters 'Biedermaier' in den deutschen humoristischen Musenhain.« Nach
Kandern zurückgekehrt, stellte er eine Anzahl dieser Gedichte unverändert, aber auch in
Bearbeitung und angeregter Neuschöpfung zusammen und übersandte sie Ludwig Eichrodt
. »Ich forderte ihn zur Mitarbeit auf mit der Bemerkung: 'Obschon du den Sauter
nicht übertreffen kannst, so dürfte dir's doch gelingen, ihn zu erreichen.'« Das Original-
bändchen wurde seinem Besitzer zurückgegeben, und »wir kamen ... überein, sie einem
fingierten, von der Politik bereits angekränkelten und mit Schiller und Goethe befreundeten
Buchbinder Treuherz unterzuschieben. Eine dritte Kategorie solcher komischer
Gedichte, die durch witzige, mit Glück nachgeahmte Naivität absichtlich Heiterkeit zu
erzielen trachteten, unterschieden wir als Schartenmeiersche; unter dem Namen Schartenmeier
hat bekanntlich der Ästhetiker Fr. Th. Vischer als Student das köstliche Bänkelsängerlied
vom Helfer Brehm seinen Freunden vorgetragen.« Das weitere ist bekannt
genug, wir brauchen es hier nicht zu detaillieren. »Die Herausgeber der Fliegenden Blätter
, denen Eichrodt unsere Scherze überschickte, machten sich auf diesen Wink hin den
Spaß, dem Sauter-Biedermaier ein echtes Sprüchlein von Goethe aus der Abteilung 'Parabolisch
': 'Eins wie's andere', unterzuschieben, ohne daß es beanstandet wurde.« Damit
war der Biedermaier-Begriff geschaffen und auf seltsame Weise Literatur geworden.
In einer Vorrede hatte Kußmaul zaghaft auf den Ahnherrn Sauter hingewiesen, doch war
dessen Autorschaft von den Fliegenden Blättern unterschlagen worden, bzw. Eichrodt
hatte sich für seine Nennung nicht eingesetzt. Kußmaul resümiert: »Seit ich jedoch Gedichte
nach seinem Vorrang und Vorbild verübte, hat mich die Muse gemieden.«

An der Normandieküste erholte sich der Rekonvaleszent, dann wandte er sich zu fernerem
Studium nach Würzburg, wo Virchow inzwischen lehrte und praktizierte. Hier
bestand er auch seine ordentliche Promotion (das Diplom hatte der Arztpraxis genügt,
den Dr. med. erwarb man sich nur, wenn man in der Forschung tätig sein wollte). Danach
begab er sich an die berühmte Landesirrenanstalt Illenau, »wo ich den größten Teil
des Herbstes mit psychiatrischen Studien verbrachte«. In Heidelberg habilitierte sich
Kußmaul im darauffolgenden Jahr. »Ich vermochte erst später ganz zu ermessen, welch
ein Wagnis ich unternommen hatte, als ich mitten aus der Landpraxis heraus mich entschloß
, mit noch siechem Körper und beschränkten äußeren Mitteln die akademische
Laufbahn einzuschlagen. Der Versuch ist über Erwarten gelungen ...« kann Kußmaul
zum »Schluß« seiner Memoiren berichten. Daß er die weiteren Lebensabschnitte nicht
miteinbezog, rechtfertigt er selbst dahinaus: »Die spätere Periode meines Lebens ist den
Fachgenossen bekannt und würde andern Lesern kaum Interesse bieten ...«. Daraus
zeigt sich nicht zuletzt die Bescheidenheit eines Mannes, der auf wissenschaftlichem Gebiet
zu seiner Zeit ja Hervorragendes geleistet hat. Daß er jedoch instinktiv das geben
wollte und konnte, was noch heute, nach 125 und mehr Jahren, von Allgemeininteresse,
ist erfreulich genug. Die Fülle seiner Aussagen und Aufzeichnungen ist geblieben, ja sie
wurde zunehmend dokumentarisch; so gesehen, gehört er und sein Geschriebenes mit
zu den bleibenden Zeugnissen dieses 19. Jahrhunderts, das für unsere Gegenwart wie
kein anderes mitbestimmend und mitentscheidend gewesen ist.

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