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Doppelmord in Müllheim
In seiner Eigenschaft als Scharfrichter hatte er im Jahr 1839 ein letztes Mal seines Amtes
zu walten, obwohl inzwischen im Großherzogtum Baden unter Großherzog Karl
Friedrich die Tortur abgeschafft worden ist und die Hinrichtungen meist im Zuchthaus
zu Bruchsal vollzogen wurden. Nach der Müllheimer Chronik von Pfarrer H. J. Sievert
war »am Abend des 20. November 1838 in einem kleinen, seitdem abgebrochenen Haus
an der Straße nach Vögisheim (heute Hebelstraße) die Alt-Rössliwirts Witwe Maria Wil-
lin-Leininger und ihre Magd Maria Barbara Träris mittels mehrfacher Messerstiche ermordet
worden. Der unselige Mörder, Buchbinder Willin, ein sonst in gutem Ansehen
stehender Mann, dem niemand ein solches Verbrechen zugetraut hätte, saß hier beinahe
ein Jahr lang in Haft, aus welcher er einmal einen Fluchtversuch machte. Endlich wurde
er am 24. Oktober 1839 enthauptet«.
Der im Jahre 1959 verstorbene Hebelvogt und Heimatdichter Fritz Wolfsberger von
Müllheim hat an Hand von Unterlagen eine Schilderung der erschütternden Vorkommnisse
in Nr. 8/1953 der damaligen Zeitschrift des Hebelbundes Müllheim »Die Markgrafschaft
« gegeben. Diese Schilderung vermittelt uns ein anschauliches Bild von den
Verhältnissen, in welchen Wilhelm Willin gelebt, wie er sich in finanziellen Nöten befunden
hat und vielleicht deshalb am Ende nicht mehr ein noch aus wußte.
Wolfsberger berichtet: »Man schrieb den 20. November des Jahres 1838. Müllheim
genoß den Frieden eines sonnigen Spätherbsttages. In der Familie des Buchbinders Wilhelm
Willin war scheinbar alles in bester Ordnung. Er war mit seinem Taglöhner Jakob
Vetter am Vormittag mit Arbeiten auf dem Feld beschäftigt und kam gutgelaunt nach
Hause. Um die Mittagszeit brachte ihm Amtsdiener Weiss einen bezirksamtlichen Pfändungsbefehl
von einem Buchbinder Geiger aus Lahr in Höhe von 177 Gulden für gelieferte
Kalender. Willin bat den Amtsdiener, noch einen Tag mit dem Auspfänden zu warten
, da er sich am folgenden Tag durch Postschein ausweisen werde, daß er seinen Gläubiger
befriedigt habe. Außerdem war Willin benachrichtigt worden, daß ihm Nikolaus
Blankenborn einen geliehenen Betrag von 1600 Gulden samt Zinsen gekündigt hatte.
Seine Frau Heß er vollständig in Unkenntnis der Sachlage. Auch seinem Freund Friedrich
Krauss hatte er keine Silbe von seiner mißlichen Lage erzählt.
Am Nachmittag ging Willin in die Reben, kam jedoch bald wieder zurück und besuchte
anschließend seinen Nachbarn, den Seiler Glaubrecht, welcher tags zuvor aus dem
Welschland zurückgekehrt war. Beide scherzten miteinander, und nach Aufenthalt von
einer halben Stunde ging Willin wieder seines Weges und erzählte auch daheim seiner
Frau von der Rückkehr des Glaubrecht und wie sie miteinander gescherzt hätten. Seine
Frau war an jenem Tag mit ihrer Tochter und Schwester in der Küche mit Waschen beschäftigt
. Und nachdem Willin eine Anzahl Schnecken, die er aus den Reben mitgebracht
, gebraten und gegessen hatte, ging er hinaus in den Schopf.
Der Tag war indessen verstrichen, ohne daß Willin durch ein Darlehen oder eine sonstige
Anschaffung seine schwierige Lage verbessert hätte. Aber der Teufel hatte ihm bereits
einen Rat gegeben, und Willin ging damit um, diesem Rate nachzukommen.
Inzwischen war es sechs Uhr abends geworden. Tiefe Dunkelheit lag schon über den
Straßen und Häusern Müllheims, als sich Willin, mit einem Messer bewaffnet, in das
kleine Haus in der Vögisheimer Vorstadt (heute Hebelstraße) begab, wo still und zurückgezogen
die Altrössliwirtin mit ihrer Magd Barbara Träris hauste, und wo eine halbe
Stunde vorher der Dreher Fark, ein Großneffe der Witwe Willin, mit ihr zu Nacht gespeist
und soeben das Haus verlassen hatte. Willin sah dies von seiner Wohnung aus.
Nun glaubte er den richtigen Moment für seine unselige Tat für gekommen, ging in das
Haus der Witwe Willin, stach zuerst die ihm öffnende Magd nieder und danach die alte
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