http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1985-01/0156
Rechtsstellung der deutschen Bauern so stark geworden war, daß sie Mitspracherechte
hatten. Man sieht es schon an den häufigen Anweisungen an diejenigen, die die Rödel am
Dinggericht einmal im Jahr vorzulesen hatten, nach bestimmten wichtigen Punkten:
»Frag, ob es aso sie« (sie = sei) oder kurz »Interroga«. D. h. daß das Gericht und alle
»Dinghörigen«, zum Ding Gehörigen, diese Fragen zu beantworten hatten. Sie sollten
es natürlich als »altes Recht« bejahen, was aber nicht immer geschah. Wir wissen von einem
Vorgang in Steinen3, wo es nach einer Urkunde aus dem Jahr 1415 mit nicht weniger
als 37 Bauern vor allem aus Hägelberg, aber auch Höllstein, Hüsingen und Steinen zu einem
Streit mit den Vertretern des Propstes von Weitenau offenbar an einem solchen Gerichtstag
gekommen ist. Leider wird der Grund der abweichenden Meinung der Bauern
in dieser Sprache (natürlich) nicht mitgeteilt. Denn der Schirmvogt der Propstei und des
Dinghofes, Markgraf Rudolf III. von Rötteln-Sausenburg, mußte in dieser Eigenschaft
die Unbotmäßigen eintürmen. Auf Bitten des Abtes von St. Blasien, ihres Oberherrn,
ließ er sie wieder frei, wofür sie Urfehde zu schwören hatten4, nämlich den Streit nicht
fortzuführen und sich für die Haft nicht zu rächen. Propst und Abt waren durch die Haft
von 37 dingpflichtigen Bauern, und eben nicht den kleinsten, wohl nicht weniger aufgeschreckt
als die Bauern selbst. Das Beispiel zeigt aber, daß damals schon ein Dinggericht
keine einseitige Zustimmungsmaschine abhängiger Bauern gegenüber einem Herrschaftsanspruch
gewesen ist, sondern daß die Bauern begonnen hatten, ihre Interessen
selbst zu vertreten. Es ist dies unzweifelhaft schon ein Ergebnis, eine Folge der allenthalben
in unserem Gebiet wirkenden dörflichen Ortsgerichte mit ihrer niedergerichtlichen
und Selbstverwaltungsfunktion für ihren dörflichen Bereich.
Es wäre auch ein Fehler, nicht zu sehen, daß die Beteiligten zumeist selbst noch erlebt
haben, daß ihre südlichen Nachbarn, die Eidgenossen 1388 und 1389 bei Sempach und
Näfels den habsburgischen Herzog und seinen Adel geschlagen hatten und 1390 vertraglich
die Unabhängigkeit von der habsburgischen Herrschaft, die Schirmvogt und territoriale
Vormacht über St. Blasien und den »Wald« war, erreicht hatten. Nicht umsonst
gleichen auch die Organisation der »Landschaft« und die meisten Ausdrücke für deren
militärischen Aufbau denen des eidgenössischen Heerwesens.
Diese deutschsprachigen Dingrödel bieten nun eine Fülle von Material zur Beurteilung
der Rechtsverhältnisse im 14. Jahrhundert und danach, auch zur Beurteilung der
gegenüber früher eingetretenen Verhältnisse in der Besitzstruktur und ebenso des Um-
fangs nicht nur des herrschaftlichen Besitzes, sondern auch der verliehenen Güter. Und
nicht mehr angewiesen auf Fremdsprachenspezialisten, können wir diese Urkunden
leichter verstehen. Das hat aber seine Haken: Immer noch eingestreut sind lateinische
Vokabeln, häufig mit Abkürzungen, die auch nur Kenner auflösen können. Vor allem
aber gibt es noch eine Menge deutscher Wörter, die im Laufe von 600 Jahren einen Bedeutungswandel
durchgemacht haben. Um diesen Wandel besser zu verstehen, müssen
wir etwas ausgreifen bis zu dem Ereignis der deutschen Geschichte, bei dem die nach
Selbstverwaltung strebende oder schon selbstverwaltete Bauernschaft mit restriktiven
Herrschaftsstrukturen in einem explosiven Kampf zusammenstieß: dem Bauernkrieg.
Wie kam es zum Bauernkrieg?
Es ist klar, daß der große Bauernkrieg von 1525 vor allem wegen der sozialen Lage der
Bauern ausgebrochen ist. Es hat damals viele Landesherren, vor allem solche, deren
Herrschaft auf Landbesitz, also einer Grundherrschaft beruhte, gegeben, die aufgrund
von Geldentwertung unmäßige neue Forderungen bezügliche der Abgaben gestellt haben
. Die zunehmende Umstellung von der Natural- auf Geld Wirtschaft hat dabei eine er-
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