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Mit Postschiffen und gekupferten Dreimastern
(Die Auswanderung im 19. Jahrhundert)
In der Sievert'schen Chronik von Müllheim (Druck und Verlag von August Schmidt,
1886) schildert der Verfasser unter dem Jahr 1816, daß das Jahr ungewöhnlich viel Nässe
gebracht habe, so daß »Ernte und Herbst verdarben. Vom 1. Mai bis 29. Dezember fast
immer Regen, am 6. Juni Schnee! Die Kartoffeln verfaulten auf den Äckern. Daraus ging
jene Teuerung hervor, welche das Jahr 1817 zum schlimmsten Notjahr für lange Zeiten
gemacht hat«.
Zu Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts wiederholten sich Teuerung und
Not durch Hochwasser, Mißwuchs in Feldern und Reben. Die Jahre 1851,1852 und 1853
brachten in unserer Gegend verheerende Hochwasser und empfindliche Mißernten. »Die
Not stieg bis zu einem hohen Grad«. »Es traten Unter Stützungskommissionen zusammen
, Sammlungen wurden veranstaltet, Suppenanstalten errichtet, öffentliche Arbeiten
angewiesen, viele Kinder zum Essen in Kost gegeben«. Schließlich vermerkt der Chronist
: »Teuerung und Verdienstlosigkeit trieb in diesem Jahr viele zum Auswandern nach
Amerika«.
Da in jener Zeit die Bevölkerung überwiegend von der Landwirtschaft lebte und auf
Erträge in Feld und Reben angewiesen war, wurde in einem so kleinen Dorf wie Vögis-
heim das Auskommen für manchen Einwohner und für manche Familie zu gering. So
mag auch in Vögisheim in erster Linie die Not Anlaß zur Auswanderung gewesen sein.
Wenn dies auch nicht in den einzelnen Fällen als Ursache angegeben wurde, so trieb doch
die meisten das »Nicht-Auskommen« in der Heimat hinaus in die Fremde. Drüben, über
dem Ozean lockte die Neue Welt zu einem Neubeginn. Bezeichnend für Vögisheim, wie
wohl für das ganze Markgräflerland, ist neben Amerika als Ziel der Ausreise auch die
Schweiz. Die Begründungen der einzelnen Auswanderer nahe der Schweiz zeugen von
der Verflochtenheit der Staaten in der Dreiländerecke.
Bei den Nachforschungen über die Auswanderung aus Vögisheim sollen die menschlichen
Schicksale an vorderster Stelle stehen. Seit dem Jahr 1803 wurde durch eine landesherrliche
Verordnung in Baden die Auswanderung von einer obrigkeitlichen Genehmigung
abhängig gemacht. Dadurch lassen sich die Auswanderer aktenmäßig feststellen.
Oft sind es knappe Sätze, die uns ein Bild von der Situation im Dorf und der einzelnen
Menschen vermitteln.
Die nachfolgende Aufzählung von Auswanderern im 19. Jahrhundert erhebt nicht den
Anspruch auf Vollständigkeit, zumal es keine entsprechende Statistik gibt, die sämtliche
Auswanderer enthielte. Der Zufall spielt oft eine Rolle. So fand ich ein Auswanderer-
Schicksal nicht etwa in den Akten über die Auswanderung, sondern in dem Protokoll
über eine Ortsbereisung des Bezirksamtes Müllheim in Vögisheim im Jahre 1852. Dort
wird'unter »Rechnungswesen« u. a. erwähnt, daß Holz für 1267 Gulden 29 Kreuzer verkauft
worden sei. Dieser bedeutende Holzerlös rühre von einem Vorhieb her, welcher
der Gemeinde »zur Unterstützung der Auswanderung einer ganz verkommenen Familie
bewilligt wurde«. Die Gemeinde habe zu diesem Zweck »im letzten Spätjahr 800 Gulden
aufgenommen, die nun aus diesem Holzerlös wieder abbezahlt sind«.
Es war nicht der einzige Fall gewesen, in dem die Gemeinde für die Ausreise eines
Auswanderers aufkommen mußte. Die meisten Vögisheimer Auswanderer zahlten jedoch
die Uberfahrt aus eigenen Mitteln, die vor allem aus dem Verkauf ihrer Liegenschaften
in der Heimat herrührten. In dem schon erwähnten Protokoll über die Ortsbereisung
des Bezirksamtes Müllheim im Jahr 1852 wird erwähnt, daß innerhalb der letzten
20 Jahre aus der Gemeinde 42 Personen ausgewandert seien, von denen 26 mit eige-
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