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350 und 406 erfolgt die Besitznahme des Elsaß, spätestens nach 455 die großer Teile der
Schweiz. Erneut und dringlicher stellt sich die Frage nach der physischen, ethnischen
und kulturellen Kontinuität der von den Alemannen unterworfenen Bevölkerung, insbesondere
im Raum der 'agri decumates'. Die (deutsche) Forschung neigt sehr dazu, hier
ein rasches und nahezu völliges Abbrechen allen römischen Lebens anzunehmen; ganz
im Gegensatz dazu hat die Schweizer Forschung südlich des Hochrheins vor allem aufgrund
namenkundlicher bzw. sprachwissenschaftlicher Untersuchungen einen längeren
Fortbestand voralemannischer Kultur und Sprache über die Landnahmezeit hinaus
nachweisen können. Christlich-römische Bewohner haben sich hinter den festen Mauern
und Kastellen behauptet; auch auf dem offenen Land, besonders in den Gebirgsgegenden
, müssen Alemannen und Galloromanen noch lange als ethnisch getrennte Volksgruppen
nebeneinander gesiedelt haben.«
In noch größerem Maße dürften diese Befunde ihre Parallelen im Elsaß und in den Vo-
gesen haben.
777 Der Beichenname
Große Schwierigkeiten bereitete das etymologische Problem der Deutung des Bergnamens
'Belchen'. Obwohl viele der früheren Sprachforscher eine Abstammung aus dem
Keltischen vermutet hatten, setzte sich aber seit 1930 besonders bei deutschen Linguisten
die Auffassung durch, 'Belchen' sei ein alemannisches Wort und beinhalte etwa das
gleiche wie der noch am Bodensee gebräuchliche Vogelname 'Belchen' für Bläßhuhn -
lat. fulica -, nämlich »die weithin sichtbare weiße Stirnplatte bzw. die Berge dieses Namens
nach ihren kahlen, hellen Gipfeln«. Das Won sei deshalb auf die idg. Wurzel 'bheP
= 'schimmernd', 'leuchtend', 'weiß' zurückzuführen (Duden/Herkunftswörterbuch
1963).
Aber hatte nicht schon 1960 F. Hockenjos in seinem Aufsatz 'Die drei Belchen' (Der
Schwarzwald, Heft 1/2) daraufhingewiesen, daß die frühere Bewaldung der Belchengip-
fel eine Ableitung des Namens aus dem Alemannischen sehr fraglich mache? Und nach
verschiedenen Deutungsversuchen des Wortes aus dem Keltischen kommt er zu folgendem
Schluß: »Nichts hindert also an der Annahme, daß auch die drei Belchen vorgermanische
Kultstätten waren und in ihrem heutigen Namen deutscher wie französischer
Form den Namen des auf ihnen verehrten keltischen Gottes bewahrt haben. Ob dies nun
der gallo-römische Apollo Belenus oder Mars Beladu, der Sonnen- oder der Kriegsgott
... gewesen ist, müssen wir nach dem heutigen Stand der Forschung dahingestellt sein
lassen, wenngleich es reizen mag, die von Natur aus georteten drei Belchen gerade mit
dem Sonnenkult in Beziehung zu setzen«.
Doch konnten erst neuere Forschungsergebnisse der Germanistik solche Mutmaßungen
bezüglich der Herkunft des Bergnamens bestätigen: 'Belchen' dürfte demnach vom
keltischen Bergnamen 'Bel(a)ka' ins Alemannische übernommen worden sein (A. Greu-
le: 'Vor- und frühgermanische Flußnamen am Oberrhein', Heidelberg 1973).
So sind wohl auch aufgrund einer jahrzehntelangen linguistischen Fehldeutung die geradezu
auffälligen 'Visier'-Beziehungen zwischen den Belchen-Bergen in Schwarzwald,
Vogesen und Jura bisher der Aufmerksamkeit der zuständigen Keltenforschung entgangen
.
Daß diese Berge aber nun wirklich den Namen des Sonnengottes Belenus/Bel(a)kus
tragen, wurde erst durch die Entdeckung der topographisch-astronomischen Kongruenz
mit möglichen Kultstätten des keltischen Kalenderjahres offenkundig.
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