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Wilhelm und sieht seinen Schuh an. Der Lehrer, mit einem geschälten Dachrutenstek-
ken, zeigt auf die Erde an dem Schuh und sagt: »Was ist zuoberst?« - »Roter!« - Er
zeichnet an die Tafel einen blauen Strich - das ist die Wiese. Er wäscht mit dem Schwamm
den Strich an einer Stelle durch: das ist die Wiesenbrücke; ein schmaler grauer Strich: das
ist der Floßkanal. Zwei Wische - ein Brücklein hin, ein Brücklein her. Ha, ein gelber
Strich! Was bedeutet das? Die Steingrube. Ein paar Tupfen in der schwarzen Fläche! Was
das? Die versteinerten Schnecken. Jetzt macht er ein weißes Feld zwischen Wiese und
Kanal. Was soll das heißen? Die Kiesgrube. Und aber jetzt? Ein rotes Band wird gezogen
: der Sandstein, der Schynberg!« - Die Kinder strahlen. Der Wilhelm zieht seinen
Schuh wieder an. Der Lehrer fragt: »Was wächst auf dem Kalk und Letten?« - »Weizen,
Kartoffeln, Klee!« - »Was wächst auf dem Kies im Tal?« - »Gras, Obst, Kraut, Lewat!«
- »Was wächst auf dem Sandstein?« - »Wald, Beeren, Farn, Tollkirschen, Pilze!« - »Und
Schlangen!« - sage ich. »Was, Schlangen?« - »Ja, an der Schlangenmauer über dem Tiefen
Loch ist alles voll Schlangen! Uber Mittag liegen sie geringelt auf dem Felsen der
Mauer an!« - »Hast du es selber gesehen?« - »Ja, Herr Lehrer, und der Gipser mit dem
einen Arm hat mir eine gefangen. Aber sie ist uns nachts ab!«
Gelächter: »Hebet sie!« - »Also, jetzt habt ihr gelernt, was alles für Boden wir haben
und was auf jedem Boden gerne wächst! Wenn ihr brav seid, so gehen wir mit dem Hermann
das nächste Mal und schauen, ob es Schlangen hat, im Tiefen Loch!«
So wurde in der Maulburger Schule Bodenkunde betrieben von einem Lehrer, dessen
ich noch heute recht dankbar gedenke. Als ich einmal einen geologischen Wald- und
Wiesenvortrag anhören mußte in einem Heimatverein, begann der Redner, ganz in seiner
zunftmässig gelehrten Denkweise befangen, mit dem Satze: »Der Streit über die
Bruchspalte will immer noch nicht verstummen...« Niemand verstand, was er meinte.
Den alten Volksschullehrer von siebenundachtzig in der Maulburger Schule haben alle
Bauern- und Weberkinder von Grund auf verstanden.
Erinnerungen an den Vater
Hermann Burte
Mein Vater, Friedrich Strübe von Steinen, haue als Glück und Freude seiner spärlichen
freien Zeit die Dichtung: Er verehrte Hebel, mehr noch Schiller, am meisten Unland, mit
dem er auch politisch sich eins fühlte, und schrieb selber Gedichte in Hochdeutsch und Ale-*
mannisch, die in den Blättern des Markgräflerlandes erschienen, besonders in der Beilage
zum »Markgräfler Tagblatt« in Schopfheim, dem »Feldbergs Töchterlein«. Auch in dem
Jahrbuch »Das Gottestübli« standen seine Gedichte.
In jenen Tagen hatte fast jeder Ort im Lande seinen Dichter: In Tumringen saß Ziegler,
in Müllheim Muser, in Schopfheim Uehlin, in Fahrnau Thoma, in Otlingen Gempp, es
war eine zwanglose Gruppe von biederen bürgerlichen Männern, die sich die Menschen
ihres Umgangs als Leser und Hörer dachten und alle leicht in das Moralische, Belehrende
abglitten.
In meinem elterlichen Hause in Maulburg gab es Hebel, Schiller, Uhland zu lesen. Das
schönste und am meisten verschlungene Buch war aber ein großer, mit Abbildungen geschmückter
Band, in dem Bürgers »Leonore«, Claudius' »Urian« und manches andere
zu lesen war.
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