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ich habe wohl an sehr hohen Festtagen die Ehre gehabt, mit Ihnen in dem Fall zu sein.
Was ist denn Schreiben mehr als Reden ? Es ist nicht einmal soviel. Also lieber Gott, während
daß viele Tausende aus allen Tönen und nach allen Weisen dich loben, schleiche ich
piano nach Weil, wo du auch daheim bist, so gut wie in Karlsruhe; ehe denn Karlsruhe
war, ist Weil; und zu Leuten, die Du auch kennst, und Du darfst alles hören, was ich sage
. Aber sonderbar, liebste Jungfer Gustave, ich will an Sie schreiben und schreib an den
lieben Herrgott, der doch meinen Brief schon auswendig kann, eh ich ihn schreibe, und
dem ich nicht zu sagen brauchen, wo Rheinfels liegt.« (Insel 2, 196/97).
Gustave hat mit dem lieben Gott zu tun, die Liebe mit dem Glauben, die Sehnsucht
nach Weil mit der Hoffnung aufs Himmelreich. Da geht einem auf, warum Paulus so viele
und ausführliche Briefe geschrieben hat.
An seinen Freund Hitzig gewendet, läßt Hebel sein Herz sprechen, »piano« und verschwiegen
in Briefen, deren Geheimnis sich der Kirchenführer anvertrauen darf:
»Da taucht auf einmal aus der Geschäfte Fluten ein zweiter Jona herauf mit triefenden
Haaren und geschundenen Gliedmaßen, und schnappt nach Luft und nach Rötteln, ach
nach den so koseseligen Blütenhainen____
Ich gestehe dir - denn eine Beicht unter Freunden ist so heilig, als die im Altar, daß er
mir immer mehr einleuchtet, der Polytheismus, und nur die Gefangenschaft, oder Vormundschaft
, in welcher uns der angetaufte und anerzogene und angepredigte Glauben
behält, hinderte mich bisher, den seligen Göttern Kirchlein zu bauen« (Zentner 2, 389/
391).
Briefe legen Beichte ab. Der gestrenge und glänzende Theologe Hitzig wirds dem
Freund verziehen haben, wenn er den Heidenglauben liebt. Taufe, Erziehung und Predigt
wirken gegenüber der Naturreligion schwach. Das kann man brieflich sagen. Und
man hat einen Freund, der versteht. Briefe sind Beichten. Sie sind deswegen nötig. Besser
Beichte als Behandlungszimmer!
5. Briefe sind das Gefährt, auf dem das Wesentliche im Leben zur Sprache kommt
- sie sind das Gegenteil der Zeitung und der anderen »Medien«. Hebel unterrichtet Hitzig
über das neue Gesangbuch (besser als heute!) und erregt sich über den Grafen Zin-
zendorf, der »ein interessantes Gemisch aus Kraft und Erhebung einerseits und Gemeinheit
, Unsinn und Lammbhaftigkeit anderseits« bietet, »Wörter aus der Hofsprache« und
»demütige Sentiments, abominabler Leichenduft des gesunden Menschenverstandes
und admirable Vivacite der Phantasie«, also nicht Hebels Fall (Zentner 2,410). Ironisch
wird die Landessynode beschrieben, sie »war abermal Essen und Trinken, Gerechtigkeit
, Friede und Freude, wie alle«. Wer Mitglied dieses Hohen Hauses war, wird sagen
können: es hat sich nichts verändert. Und dann die Theaterereignisse in Karlsruhe! Am
27. Oktober berichtet Hebel von der peinlichen Szene, als er selbstvergessen von der
schönen Schauspielerin Henriette Hendel berichtet, die auf ihn gedeutet hatte mit den
Worten: »Gel de meinsch, i sag der Wer, s'isch kei sie, es isch e ER« - »Eine Schauspielerin
auf dem Theater; und ein Kirchenrat im Parquett!!!«.
6. Briefe sind das Gefährt des beruflichen Austauschs
- hier sprechen dann auch Theologen miteinander. Am 30. Jänner 1813 schreibt Hebel
nach Schopfheim, wohin Hitzig als Dekan zunächst ziehen mußte: »Ist die Nabel-
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