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rem Vorhaben und begehrten von der Gemeinde die nötige finanzielle Unterstützung.
Sie begründeten ihren Entschluß mit ihrer fortdauernden Unterstützungsbedürftigkeit
, die auch für ihre gesamte Nachkommenschaft gelten würde. Nach längerer Diskussion
wurde schließlich ein Beschluß auf Unterstützung der 93 Personen gefaßt, nach
welchem jede Familie aus der Gemeindekasse mit den erforderlichen 540 Franken auszustatten
sei. Der Kernsatz des Bescheids liest sich im Protokoll wie folgt: "In der Hoffnung
, daß sie nicht wieder so leicht zurückkehren können u werden, da ihnen alldort
durch Verdienst die Nahrungssorgen gesichert sind, wesswegen sie von da aus fortziehen
wollen. "6)
Der Bürgermeister erhielt den Auftrag, die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten
. Die an die Präfektur nach Kolmar eingesandten Papiere kamen bereits am 27.
März mit der Aufforderung zurück, diese zu verbessern und deutlichere Auskünfte
über Lage und Situation der Auswanderungswilligen zu erteilen. Ferner wurde von der
Präfektur mitgeteilt, daß nur zusammengehörige Familien angenommen würden und
für jede mit 10 und mehr Köpfen mindestens 600 Franken an Kapital erforderlich wären
.
In der daraufhin am L Mai 1854 einberufenen Versammlung wurde der positive Beschluß
vom Vormonat widerrufen, zumal "da die meisten hierzu keine Lust mehr haben
".71 Aufgrund der eingehenden Informationen waren inzwischen mehrere Familien
von ihrem Entschluß, nach Algerien auswandern zu wollen, zurückgetreten.
Zwei Monate später, am 3. Juli, wird der Gegenstand "Auswanderung auf Gemeindekosten
" für "mehrere arme u gänzlich vermögenslose Familien u Personen"8' erneut
verhandelt. Nunmehr haben Ziel und Begründung des Vorhabens sich gänzlich verändert
. Die Finanzierung der Auswanderung aus der Gemeindekasse wird beschlossen,
da die Zahl der armen und unterstützungsbedürftigen "lästigen Familien u Personen""9'
nur in Zunahme begriffen sei. Algerien hatte man als Ziel aufgegeben, "weil das dortige
Klima für unsre Leute unerträglich, u weil dieselben erst nach Verlauf von 10 Jahren
bürgerlich aufgenomen werden, Jedoch mit dem Vorbehalten, daß man ihnen bey
schiklicher Gelegenheit u wen die Uiberfahrtspreise billiger werden, nach Amerika verhelfen
wolle."10' Der Beschluß galt zunächst für gemeldete 75 Personen und zwei Säuglinge
. Der Agent Kisling aus dem benachbarten Eschbach hatte für diese erhebliche
Personenzahl ein günstiges Angebot für denTransfer nach Nordamerika gemacht. Zur
Finanzierung der Kosten mußte seitens der Gemeinde Kapital aufgenommen werden.
In die Tilgung desselben sollten der Ertrag aus den Allmendfeldern der Auswanderer
und Erlöse aus Verpachtungen und dem Gemeindewald einfließen. Für den Fall, daß
diese Gelder nicht reichen sollten, war eine einmalige Umlage auf das Steuerkapital
vorgesehen.
In der Versammlung stimmten alle Anwesenden dem Vorhaben zu. An den Bürgermeister
erging der Auftrag, "diese Auswanderung schleunigst zu bewerkstelligen",u)
umgehend mit dem Agenten die Reiseverträge abzuschließen, über das Bezirksamt die
nötigen Reisepässe zu besorgen und die Staatserlaubnis zur Auswanderung einzuholen
.
Den Fortgang der Geschichte finden wir im Rechnungsbuch der Gemeinde Bremgarten
für das Jahr 1854. Mit dem Agenten Kisling wurden am 4., 16. und 17. Juli des Jahres
von der Gemeinde drei Schiffsverträge über die Beförderung von jetzt insgesamt 94
Personen nach New York abgeschlossen. Die "hohe Staatsgenehmigung" des Auswanderungsvorhabens
erfolgte am 8. August unter der Nr. 17.403.121 Damit war die Auswanderung
einer ganzen Gruppe von Ortsarmen durchführungsreif in die Wege geleitet, vorfinanziert
und nach gesetzlicher Vorschrift genehmigt. Die Auswanderungswilligen wurden
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