http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1989-01/0072
Das Christentum wurde zur Reichsreligion, und die enge Verbindung Staat und Kirche
machte zum Bürger nur den. welcher der Gnaden der Religion teilhaftig wurde.
Der Christ war damit ein Gotteskind, der Jude aber gehörte in den Bereich desTeufels,
wie es im Johannes-Evangelium geschrieben steht:
"Ihr stammt vom Teufel als eurem Vater und wollt die Gelüste eures Vaters tun.
Wer aus Gott ist. hört die Worte Gottes: deshalb hört ihr sie nicht, weil ihr nicht aus
Gott seid."16'
Aus dieser Teufelskindschaft der Juden entstand die Sündenbock-Theorie. Dieser
Fremde, dieser anders Lebende und anders Betende, wurde nun zum Verursacher aller
Übel, aller Plagen, aller Unglücke, aller Katastrophen und Epidemien.
Im deutschen Raum lag um das 10. Jahrhundert das Verhältnis etwas anders. Bereits
Karl der Große förderte die Niederlassung der Juden. Bei seinen Gesandtschaften in
alle Welt waren immereinige dieser wendigen, sprachgewandten Leute dabei. Der fränkisch
-germanische Begriff der "Munt", des Königsschutzes. - natürlich gegen teures
Geld - setzte sich hier durch. Mit diesem Schutzbrief ausgestattet, genossen die Juden
besondere Rechte. In Regensburg. Worms. Speyer und Mainz bildeten sie eigene Gemeinden
mit dem Judenmeister - im Bürgermeisterrang - an der Spitze.Talmudschulen
von Weltrang waren in Mainz und in Worms. Die Juden blieben zwar fremd, doch sie waren
angesehen.
Das änderte sich durch die Kreuzzüge. Dieser Feldzug in Gottes Namen brachte den
ersten Pogrom. Er setzte in Frankreich ein. rollte über Deutschland hinweg durch den
Balkan und Italien nach dem Orient. Tausende wurden grausam erschlagen.Tausende
konvertierten zum Christentum. Tausende flohen. Viele Städte, ganze Landschaften
waren nach den Kreuzzügen judenfrei. Große Teile der deutschen Juden emigrierten in
den Osten. Rache an den Mördern Christi, fanatischer Bekehrungseifer und die Hoffnung
auf das Seelenheil im Jenseits waren der Motor der Massen bei diesem Pogrom.
Er schloß auf dem Konzil von Nikäa 1215 aufVerordnungswege die Juden auch aus dem
öffentlichen Leben aus und verlangte eine Kennzeichnung der Juden an der Bekleidung
.
Die so entrechtete Minderheit führte nun ein elendes Leben und wurde immer zum
Prellbock. Die Blutbeschuldigung kam auf. die These. Juden morden Christenkinder,
weil sie deren Blut für ihr Oster-Rituell brauchen. Trotz Barbarossas Verbot tauchte
diese Anschuldigung immer wieder auf - sogar in Julius Streichers "Stürmer" noch im
20. Jahrhundert.
Zwei weitere Beispiele dieser Sündenbock-Theorie:
Im 13. Jahrhundert wurden die Juden des Hostienfrevels beschuldigt. Es hieß: Um
den Leib Christi erneut zu quälen, durchstechen die Juden Hostien, die dann bluten.
Wieder setzte ein Pogrom ein. waren Schlägertrupps unterwegs, quälten, folterten,
töteten. Tausende von Juden wurden Opfer dieser Mär. die heute durch den Pilzbefall
erklärbar ist.
Als im 14. Jahrhundert die Pest ausbrach, wurden die Juden beschuldigt, die Brunnen
vergiftet zu haben. Die mittelalterliche Folter erreichte auch Geständnisse. In
Waldkirch z.B. gaben die Juden unter der Folter zu. 13 Brunnen vergiftet zu haben. Obwohl
Kaiser und Papst sich gegen diese Beschuldigung wandten, wurden Zehntausende
von Juden erschlagen, ertränkt, gerädert, gehenkt, erdrosselt und lebendig begraben.
Übrigens: die Kinder wurden geschont. Die wurden zwangsgetauft. Ein neuer Beweis
dafür, daß das Judentum nicht als Rasse, sondern als Religion gewertet wurde.
Wir können Jahrhunderte überspringen. Sie sind für die Juden ein Auf und Ab vom
Gebrauchtwerden als Objekt der Ausbeutung über die Verfolgung bis zum qualvollen
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