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Tod. Eingepfercht in das Ghetto, lebten sie ihr Leben nach ihrem Glauben, die Synagoge
als Mittelpunkt, ein Gemeinschaftsleben, das ihren Zusammenhalt und auch die
Fremdheit noch verstärkte.
Vorher wurde die "Munt" angesprochen, das Schutzprivileg für die Juden. In der
deutschen Kaiserzeit entstanden, hielt es sich bis über den Absolutismus hinaus. Neben
den offiziellen Hofjuden, von denen ja Jud Süß durch den Roman von Lion Feuchtwan-
ger und den Film von Veit Harlan allgemein bekannt ist. wurde dieses Privileg gegen
Geld vielen gewährt. Weil den Juden aber dadurch dennoch eine Reihe sog. "Ehrlicher
Berufe" wie Bauer und Handwerker versperrt waren, blieb ihnen eigentlich nur noch
das Geldgeschäft und der Handel. Auch die frühe Zeit kam ohne ein Kreditwesen nicht
aus. denn Hofhaltungen. Rüstung und Kriege waren teuer. Im Juden fand man den
idealen Lückenbüßer, der diese Geschäfte übernehmen mußte, die den Christen verwehrt
waren. Sie nahmen Zinsen, die der Zeit entsprechend hoch, also Wucherzinsen,
waren. Dafür wurden sie angefeindet und beneidet. Und der Schutzherr zog von ihnen
einen großen Teil des Gewinnes wieder als Schutzgebühr ein. Neben dem Schutzgeld
mußten die Juden aber auch noch Sondersteuern bezahlen.
Dafür ein Beispiel aus der Markgrafschaft Baden:
Den badischen Schutzjuden oblag die Finanzierung der markgräflichen Post von
Pforzheim nach Rötteln.
Um überhaupt in der Markgrafschaft aufgenommen zu werden, mußten von vornherein
6 % des Vermögens als Pflastergeld abgeführt werden. Zusammen mit der Judensteuer
wurden damit die Straßen in der Residenz Rastatt gepflastert. Die Juden bezahlten
ein sog. Lampengeld für die Beleuchtung in der Residenz. Sie mußten für den Hof
und die Beamten Pferde zur Verfügung halten, und für die Aussteuer von Prinzen, bei
Hochzeiten und bei Kriegen wurden sie noch zusätzlich veranlagt. Dies ging bis zum
Jahre 1828. Der Jude wurde ausgebeutet, war Objekt. Weil er sich mit seiner Tüchtigkeit
immer wieder erholte und durchsetzte, wurde er auch zum Objekt des Neides und
der Mißgunst. Damit stieg der wirtschaftliche Antisemitismus immer wieder an.
Die Aufklärung brachte einen Wandel, denn sie sah den Juden erstmals wieder als
Menschen, gab ihm gleiche Rechte und Pflichten.Trotz mancher Gegenwehr setzte sich
die Emanzipation durch. Der Jude wurde zum Mitbürger, und er wurde erfolgreich,
kam zu Ansehen und oftmals auch zu Reichtum.
Golo Mann beschrieb dieses Judentum in Deutschland mit den Worten:
"Es war deutsch in seinen Tugenden.
Es war deutsch in seinen Untugenden.
Es war patriotisch.
Es war überwiegend konservativ."
Das zeigte sich besonders ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Judenemanzipation und
Industrialisierung trafen zusammen. Die jüdischen Mitbürger waren nun gleichberechtigt
. Sie waren beseelt von einem Aufstiegswillen in der Gesellschaft, die sie vorher ablehnte
, und sie wollten sich Anerkennung verschaffen.
Als Händler durch Jahrhunderte erfahren, sahen sie in einer liberalisierten Wirtschaft
ihre Chance. Es entwickelte sich ein harter Konkurrenzkampf, und meist lag der
emanzipierte Jude vorn. Symbol für den Aufstieg der Juden wurde der Name "Rothschild
". In Deutschland. England. Frankreich. Österreich und in den USAnahmen die
Regenten, ob Fürsten oder Präsidenten, dort ihre Kredite auf. Dem Untertanen mußte
scheinen, als ob ihre Herrscher in den goldenen Schlingen des Judentums gefangen
sind. Die Propaganda rechter, völkischer Gruppen tat ihr übriges. Das schuf erneut
eine Welle wirtschaftlichen Antisemitismus. Den Juden wurde darum jedes wirtschaftli-
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