http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1989-01/0075
Jude wurde der Gegenpol zum nordischen, germanischen, deutschen Menschen, dem
Herrenmenschen.
Diese Verstärkung des rassischen Antisemitismus war ein Signal, das nur von wenigen
erkannt wurde. Während die Juden im Mittelalter und in denAnfängen der Neuzeit
der Verfolgung und derTötung noch durch die Taufe entkommen konnten, während die
Juden im 19. Jahrhundert in der Zeit der Emanzipation und der Assimilation dadurch
noch - wie Heinrich Heine es formulierte - das "Entree-Billett in die europäische Kultur
"' erhielten, gab es angesichts des Rassenantisemitismus kein Entrinnen und keine
Rettung mehr. Da die jüdische Rasse minderwertig war, stellt sie eine Gefahr für die
nordische Rasse dar.
Die Konsequenzen daraus mußten unweigerlich sein:
Isolation
Sterilisation und
schließlich die physische Liquidation.
Bei der L Volkszählung im 3. Reich, am 16. Juni 1933, betrug die Zahl der Juden
502 799: das war. an der Gesamtzahl der Bevölkerung gemessen. nicht einmal 1 %. Der
größte Teil dieser deutschen Juden gehörte dem Mittelstand an und lebte in Großstädten
. Allein in Berlin wohnte rund ein Drittel aller deutschen Juden. Viele davon waren
Ärzte. Anwälte. Bankiers. Beamte. Redakteure und Wissenschaftler, also zumeist krisensichere
Positionen in der Gesellschaft. Die nationalsozialistische Propaganda wußte
dies in der Zeit wirtschaftlicher und politischer Krisen geschickt auszuschlachten und
damit den Antisemitismus zu nähren.
Nach der Machtergreifung wurde von den braunen Machthabern umgehend begonnen
, ihr Parteiprogramm zu realisieren. Jeglicher jüdische Einfluß auf Politik, Kultur.
Presse und Wirtschaft sollte gänzlich unterbunden und das Judentum über die Grenze
abgeschoben werden. Das war das ursprüngliche Ziel.18)
Den ersten Schlag führte die SA. die Schlägertruppe aus der "Kampfzeit". Initiiert
wurde dieser erste antisemitische Akt von Julius Streicher, dem Herausgeber des antijüdischen
"Stürmer". Es war ein großer Boykott, der sich am 1. April 1933 im ganzen
Reich gegen jüdische Geschäfte. Ärzte und Anwälte richtete. Vor den Geschäften und
den Praxisräumen standen uniformierte SA-Posten mit Schildern: "Jüdisches Geschäft
", "Kein Deutscher geht zum Juden". Davidsterne wurden dick auf die Scheiben
gepinselt, einzelne auch zerschlagen. Trotz einer maßlosen Greuelhetze, trotz Anweisungen
von oben, reagierte die Bevölkerung kaum auf diese - laut Darstellung der NS-
Presse - "Gewaltige Volksbewegung", die von der Parteileitung gelenkt wurde.
Wenige Tage darauf, am 7. April 1933, kam die erste gesetzgeberische Maßnahme,
welche die systematische Diskriminierung und Entrechtung der jüdischen Mitbürger
einleitete. Es war das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums".
Dieses Gesetz bestimmte, daß nichtarische Beamte in den Ruhestand zu versetzen
sind. Ausgenommen davon waren die Kriegsteilnehmer, deren Kinder auch nach dem
"Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen" - vorerst -
weiter studieren konnten.
Kurz danach verloren die nach 1918 eingebürgerten Juden die deutsche Staatsangehörigkeit
. Einschränkungen im Bereich der freien Berufe wie Ärzte. Anwälte, Steuerberater
und Immobilienmakler folgten. Im kulturellen Bereich setzte die Bücherverbrennung
vom 5. Oktober 1933 Zeichen.
1934 wurde den Juden die "Ehre" abgesprochen, im Kriegsfalle als Soldat kämpfen
zu dürfen. Eine Zwangsarbeitspflicht war für sie dafür vorgesehen.
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