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Was eigentlich war die Nationalgarde, die bei jenem Fest so hervortritt? Schubart.
ein Zeitgenosse, setzt ihre Kenntnis voraus: Varnhagen. der sehr viel später schreibt, erklärt
die Zusammenhänge. In ihr. so schreibt er. spiegelte sich das Freiheits- und Bürgerwesen
am lebendigsten und glänzendsten. Ihr gehörte jeder wehrhafte Mann an -
auch Karl Augusts Vater, nachdem er den Bürgereid geleistet hatte. Sie besaß Rückhalt
an der revolutionären Kraft des ganzen Landes. Mit ihr tritt ein neues Element in die
Geschichte ein. "Die Entschlossenheit und die Leichtigkeit, mit denen sich Bürger, sobald
ein ernster und großer Antrieb sie bewegt, in Soldaten verwandeln, hat immer die
Welt überrascht und in Erstaunen gesetzt, doch vielleicht niemals mehr, als in jenen ersten
Zeiten der Revolution." Später, in den Volkskriegen des beginnenden 19. Jahrhunderts
, in Spanien 1808. in Preußen 1813. habe man diese Kraft noch genügend kennengelernt
: "in jenenTagen aber hielten die zünftigen Kriegsmännner für ganz unmöglich,
daß ein zusammengerafftes Bürgervolk - oder Schuster und Schneider, wie man sich
gern ausdrückte - alten geübten Soldaten widerstehen sollte." Ihre Lektion mußten die
führenden Militärs in Österreich und Preußen recht schnell lernen. Nachdem ihr Vorstoß
auf Paris 1792 bei Valmy zum Stehen gebracht worden war, eroberten die Massenheere
der Revolution nicht nur das gesamte linke Rheinufer, sondern stießen ab 1796
auch tief ins Reichsgebiet hinein. Unter ihren Schlägen sank auch die militärische Ordnung
Alteuropas in sich zusammen. Von nun an stehen allgemeine Wehrpflicht und
Volksbewaffnung, im Ansatz vielleicht sogar der "Staatsbürger in Uniform" auf derTa-
gesordnung. Wenigstens in dieser Hinsicht trifft Goethes berühmtes Wort über Valmy
vielleicht doch zu, "hier und heute" habe ein neues Zeitalter begonnen.
Auch Varnhagen von Ense schildert ein Fest, nämlich das anläßlich der Annahme der
Verfassung durch den König. Diese stellt im Prozeß der Revolution einen wichtigen
Einschnitt dar. war doch nun der Schwur der Deputierten im Ballhaussaal zu Paris am
20. Juni 1789 erfüllt und damit für die gemäßigten bürgerlichen Kreise die Revolution
bereits zu ihrem Abschluß gebracht.
Die Begeisterung erstieg den höchsten Gipfel und ein goldenes Zeitalter schien wirklich
anzubrechen, als von Paris die Heilverkündung erscholl, der König habe die von
der Nationalversammlung ausgearbeitete Konstitution angenommen und beschworen.
DieserTag. der 14. September 1791, wurde durch ganz Frankreich festlich nachgefeiert,
und Straßburg zeichnete sich vor vielen Städten durch großartige Anordnungen aus.
Kanonendonner verkündete den Anbruch des Tages, die Linientruppen und Nationalgarden
waren mit dem frühsten in Bewegung, die von Musik und Jubel begleiteten Hin-
und Herzüge bewaffneter Abteilungen wollten nicht enden: zuletzt vereinigte sich alles
zu einer großen Parade, einem erhebenden Schauspiele, aus Ernst und Fröhlichkeit gemischt
, denn nach einigen Waffenübungen wurden die Gewehre zusammengestellt und
unter dem Jubelgeschrei vive le roi. vive la nation! fraternisierten die Truppen mit dem
Volke, plötzlich drängten sich im Gewühl lange Reihen gedeckterTische hervor, an denen
in Gemeinschaft gespeist wurde [...]. Für die Armen fanden öffentlich Speisungen
Statt, auch viele angesehene und reiche Bürger hielten ihre Mahlzeit auf offener
Straße, riefen die Vorübergehenden heran, und diese allgemeine Teilnahme der Wohlhabenden
und Gebildeten gab der Lustbarkeit ein gesittetes und elegantes Ansehen,
durch welches auch die Rohheit undWildheit. die sich etwa hätte zeigen mögen, leicht
in Schranken gehalten wurde.
Wiederum fällt auf. wie Einsatz und Begeisterung von Munizipalität und Bevölkerung
Straßburgs herausgestellt werden; solche Aussagen bestätigen die herausragende
Bedeutung dieser Stadt für die Revolution. Ein wesentlicher Gesichtspunkt aber entgeht
dem deutschen Professorensohn offenbar: Er sieht nur den mäßigenden Einfluß
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