http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1990-02/0146
kratzigen Achlaut, zu dem wir uns - durch die Schwarzwaldschranke vom Hebel-Ton getrennt
- meist mühsam-künstlich bewegen müssen, daß dieser Ton doch eine muffige kleinkarierte
Welt mit sich bringt?
Dabei ist ein Fortschritt schon registriert:
"Froog i den Kerle
Wem gheersch Du
Seet der:
mir selber -"
Ich habe auf die Frage "wem gheersch?" früher immer sagen müssen "em Lehrer Schupp".
Noch 1983 wird also die Antwort als unerhört empfunden. "I glaub / etz simmer go / sowiit."
"Wie wiit" eigentlich ? Daß einer er selber sein will, daß aber gerade dieses dort am Ende
der Welt, wo ja dann nur noch Wasser kommt, eigentlich nicht geht. Die Enge macht
ungerecht und selbstgerecht und dumm. Bosch dekuvriert die Spießer, aber er stellt sie nicht
ganz bloß. Er zeigt ihnen nur, wo es langgehen müßte, wenn sie das Ohr für seine Lyrik haben,
und das muß man als Seealemanne. Vom Ort aus gesehen ist Boschs Dialekt die Sondersprache
(Soziolekt) eines Bürgertums mit hochdeutschen Anklängen in Fällen, in denen andere Leute
über mundartliche Laute verfügen. Ich erinnere mich noch gut an den Augenblick, als ich
erstmals ein Bosch-Bändchen in die Hand bekommen habe. - auch fem vom Dialekt. Vielleicht
hat mich diese Situation ebenso frappiert wie die Tatsache, daß der Jugendlaut dieselbe
gesellschaftlich verkürzt gehaltene Saite zum Erklingen brachte.
"de schoofschtall (ein Obdachlosenheim)
se dund nind
drum hondse nind
se hond nind
drum sindse nind
se sind nind
drum kennedse konn
se kenned konn
drum hockedse umenand
se hocked umenand
drum kennedse konn
se kenned konn
drum sindse nind
mir wäret au nind worre
wemmers eso gmacht hettet
aber d gosch uffriisse
je meh je weniger se hond
seil kennedse"
Teilhabe und Solidarität sind auch die Erfordernisse des regionalistischen Kulturkritikers.
Das "mer" schließt eben auch den Entschleierer ein. Das Spezifische in der mundartlichen
Redensartenmontage ist das dicere verum, aber eben ridendo, das Gelächter dessen, der nicht
nur verlacht.
Auch wenn, wie in diesen Monaten, für manchen eine Sozialismus-Utopie zerbricht und
Autoren dadurch in eine Krise geraten, wenn die (linke) Literatur kein Dach mehr hat, wie
der Freiburg-Berliner Autor Peter Schneider gerade formulierte, so hätte sich Manfred Bosch
144
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1990-02/0146