http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1991-01/0073
Mein Vater, ein Sanguiniker in allem, ein hübscher dunkelhaariger Mann mit schwarzbraunen
Augen, war gleichfalls ein Dorfschulmeisters-Sohn aus Königschaffhausen am
Kaiserstuhl.
In jenem Winter 1814 während der ungeheueren russischen Armeedurchzüge nach
Frankreich, die sich 70 000 Mann stark über Lörrach und Basel bewegten, erhielt mein Vater
eine Staatsanstellung als Landchirurg in Lörrach. Wir fuhren in einem gedeckten, großen
'Scheuerpurzlerwagen', in dem wir nebst unserem elenden bißchen Hausrat im Stroh
steckten, die 17 Stunden Weg hinauf in das durch Hebel verklärte und berühmte Wiesental
nach dem Amtsstädtchen Lörrach, das außer seinen 1 400 Einwohnern damals noch
Myriaden von russischen Soldaten beherbergte. "Die Familie Kaiser wohnte zunächst in der
Teichstraße im Hause eines Seilers (heute abgebrochen), wo ebenfalls russische Gardekosaken
einquartiert waren.
"Es waren lauter gutmütige Leute, die mit Schnaps und Sauerkraut selig wurden, stets mit
kleinen Kindern spielten und diese auf ihre Pferde setzten", berichtet Eduard Kaiser weiter.
Sämtliche drei Potentaten logierten in der "Krone". 14 Generäle lagen in einem einzigen
Zimmer im "Hirschen" auf Stroh. Radetzky. der Chef des Schwarzenbergischen Generalstabes
, wohnte bei dem Fabrikanten Peter Köchlin. In der Folge der Heereszüge war 1815
zunächst eine gewaltige Typhus-Epidemie in der Markgrafschaft aufgetreten und 1816/17
eine hartnäckige Krätze.
Dies war die Situation in Lörrach, als bald nach ihrer Ankunft die Familie Kaiser die
Ankunft ihres zweiten Kindes Friedrich am 21. Januar 1815 feiern konnte. Dazu wieder
Eduard Kaiser: "Meine älteste Erinnerung ist mir noch mit allen Einzelheiten gegenwärtig
von Weihnachten 1815. wo ich mein erstes Chrisfbäumchen erhielt. Es war die erste
Weihnacht meines Bruders Fritz, des in Berlin lebenden Schlachtenmalers, der lange
kränklich, erst nach mehreren Jahren laufen und reden lernte."
Als der kleine Friedrich knapp ein halbes Jahr alt war. stand Lörrach ein letztes Mal im
Mittelpunkt der langjährigen Kämpfe gegen Napoleon. Erzherzog Johann belagerte in jenen
Tagen die Festung Hüningen und hatte dazu sein Hauptquartier in Lörrach aufgeschlagen.
Bereits am 18. Juni 1815 war Napoleon bei Waterloo entscheidend geschlagen worden, was
allerdings erst nach Wochen in Lörrach bekannt wurde (Thema eines der großen Ölgemälde
Friedrich Kaisers ist diese Schlacht). Am 9. August 1815 schließlich kapitulierte die noch
spärliche Besatzung von Hüningen unter General Barbanegre nach zweimonatiger Belagerung
und zog sich hinter die Loire-Linie zurück. Große Kämpfe gab es dabei kaum. So fand
sich, wie Eduard Kaiser noch berichtet, bis dahin täglich eine Menge Lörracher zwischen
Obertüllingen und dem Käferholz ein. um von dort das militärische Spektakel zu verfolgen.
Sogar die Eidgenossen hatten noch ein kleines Hilfskorps dem Belagerungsheer zur
Verfügung gestellt, vermutlich der letzte militärische Einsatz in einer internationalen
Auseinandersetzung.
Schon nach zwei bis drei Jahren logierte die Familie Kaiser bereits in einer dritten
Wohnung, diesmal in der Nähe des Turmes gegenüber dem Friedhof (heute Hebelpark). Dort
kamen die beiden nächsten Geschwister Friedrichs - zwei Buben - zur Welt, die allerdings
bald am Scharlachfieber starben.
In der Familie Kaiser wurde viel musiziert - meist mit Klavier und Flöte. Der Vater spielte
gelegentlich sogar die Orgel in der Stadtkirche, die an solchen Sonntagen besonders gut
besucht war. Dort hinter der Stadtkirche (auf dem Burghof) stand auch das alte Schulhaus:
ein einfacher, ebenerdiger Bau mit einer einzigen großen Schulstube. Die damals rund 200
Schüler, zu denen bald auch Friedrich Kaiser zählte, wurden in drei Klassen vormittags und
nachmittags unterrichtet.
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