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Räume Offenburg.
Der Anblick brennender, in niedriger Flughöhe zerberstender Bomber und das Herauspurzeln
der Besatzungen an Fallschirmen, die sich noch öffneten oder auch nicht: er blieb auf
die Luftwaffenhelferzeit begrenzt und wurde in der zweiten Jahrhunderthälfte nicht mehr
"geboten", wofür Gott gedankt sei! - Ob der Herbstnachmittag des Samstags. 7. Oktober
1944, den Angehörigen der 617. Bombergruppe der Royal Air Force (RAF) ebenso
unauslöschlich in der Erinnerung geblieben ist wie den elsässischen und badischen Luftwaf-
fenhelfem der 721. Leichten Flakabteilung in Kembs - wir wissen es nicht. Diese RAF-
Flieger waren als "dam bustlers" auf die Zerstörung von Staudämmen und Talsperren
spezialisiert und konnten mit ihren viermotorigen "Lancasters" die schwersten Bomben
transportieren, welche im 2. Weltkrieg über dem europäischen Kriegsschauplatz zum
Einsatz kamen.
Dr. Claude Oberle, einstiger Schüler der Karl Roos-Oberschule Straßburg, heute Arzt für
Allgemeinmedizin in der Stadt des Europa-Parlaments, konnte aus eigenem Erleben wie
aufgrund nachfolgender sorgfältiger Recherchen fundiert und spannend schildern, wie es
sich abgespielt hatte am hochdramatischen Spätnachmittag des 7. Oktober 1944. Er war bei
seinem 2 cm-Flakzug an der Spitze der Landzunge zwischen Rhein und Canal d'Alsace
eingesetzt, als plötzlich ein Schwärm hochfliegender Mustang-Jäger, dann aus Südwesten
zwölf "Lancasters" erschienen. Die Viermotorigen drehten ein. flogen in Kiellinie den
Staudamm an. aus allen Bordwaffen feuernd, und lösten nacheinander ihre 10-Zentner-
Bomben. Die Detonationen im Rhein und Kanal sowie den einzigen Treffer auf dem
Staudamm hatte ein RAF-Beobachter in einer Luftaufnahme festgehalten. Dieser einzige
Treffer mußte von der Royal Air Force mit dem Verlust von zwei "Lancasters" bezahlt
werden- und mit der gesamten Besatzung des einen Bombers. - Nun waren sie für einige
Augenblicke doch da, die Schatten der unseligen Vergangenheit! Die eine Unglücksmaschine
wurde von rechtsrheinisch stationierter schwerer Hak abgeschossen. Die andere kam
bereits brennend aus südlicher Richtung, wo wegen der Nähe der schweizerischen Grenze
keine deutsche Flak mehr eingesetzt war. Es blieb nicht anders denkbar: Diese "Lancaster"
mußte das Schweizer Hoheitsgebiet verletzt haben, worauf schweizerische Flak sofort in
Aktion getreten war. Die Maschine machte stromabwärts vom Staudamm auf dem rechten
Rheinufer eine offenbar geglückte Notlandung. Fünf Mann der Besatzung hatten sogar noch
die Kraft, schwimmend das linke Rheinufer zu erreichen. Aber bei Sierentz im Elsaß wurden
sie von deutscher Feldgendarmerie gefaßt und - sofort erschossen. Gauleiter Robert Wagner
hatte einen dahingehenden Befehl unterzeichnet, der dann beim Prozeß 1946 in Straßburg zu
seinem Todesurteil beitrug. Drei weitere Besatzungsangehörige gerieten rechtsrheinisch in
Gefangenschaft und werden seither vermißt. - Es waren dies zweifellos flagrante Verletzungen
des Kriegsrechts. Andererseits verursachten gerade die "dam bustlers" oft die großen
Menschenopfer und Zerstörungen, wie bei ihrem Angriff auf die Möhnetalsperre, wo
mehrere Dörfer in der Flutwelle versanken. Wie Colonel Tait berichtete, sollte der "Lanca-
ster"-Angriff auf das Kraftwerk Kembs die deutsche Führung rechtzeitig daran hindern,
einen alliierten Brückenschlag über den Oberrhein durch Überschwemmungen zu erschweren
. Rückblickend muß dazu gesagt werden, daß dann dieser ganze Bombereinsatz voreilig
und sinnlos war. Die 1. französische Armee erzwang nämlich den Rheinübergang nicht im
Abschnitt Neuenburg-Breisach, sondern auf direkten Befehl de Gaulies am 31. März 1945
bei Speyer.
Der Generation der Luftwaffenhelfer wird allgemein bescheinigt, daß sie eine fleißige,
aber auch "skeptische" Generation sei. Dies gilt sicher rechtsrheinisch wie linksrheinisch.
Und sie alle sind sich darüber einig, daß durch die frühen Erlebnisse im Luftwaffenhelferjahr
man um Jahre reifer geworden ist. "En six mois. j'avais change du tout au tout", erinnerte
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