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ferner der Historiker Hermann Oncken und der jüdische Schriftsteller Jacob Picard, der Zentrumspolitiker
Joseph Schofer und der vieldiskutierte Dichter Emil Strauß, und nicht zuletzt der ehemalige südbadische
Staatspräsident Leo Wohleb. In der Regel durchweg von Spezialisten abgefaßt (Beispiel Wohleb von P.-
L. Weihnacht, jüngst mit seinem Band 'Gelbrote-Regierungsjahre'- vgl. Rez. in H. 2/89 - hervorgetreten)
oder von Autoren, die selbst als Schriftsteller ausgewiesen sind.
Alsdann zur 2. Gruppe: vorweg sei hier darauf hingewiesen, daß ein Großteil der Biographien auch
Persönlichkeiten berücksichtigt, die nicht im Badischen geboren wurden, jedoch in diesem Raum
entscheidend gewirkt haben. Erwähnen wir an erster Stelle, ohne deshalb als monarchistisch zu gelten, die
Großherzogin Hilda, die ja ihre Nachkriegsjahre großteils in Badenweiler verbrachte. Von Frau B. Matt-
Willmatt wurde die Biographie des Heimatschriftstellers Ferdinand Hasenfratz abgefaßt. Paul Rothmund
schrieb über den aus Lörrach gebürtigen Musikdirektor und Chorleiter Albert Hitzig; K. Sander und F.
Kremp arbeiteten über Emst Leitz (aus Sulzburg gebürtig): Erich Will (der im letzten Band über Burte
geschrieben hatte) berichtet über den Altbaden-Politiker Marcel Nordmann (1890 in Lörrach geboren,
1948 in Buchheim bei Freiburg verstorben). F. Haas über den aus Bad Krozingen stammenden Komponisten
Josef Schelb. Des weitem w urden berücksichtigt: die Schriftstellerin und Zentrumspolitikerin Clara
Maria Siebert, aus Schliengen gebürtig, der ehemalige Schallstadter Bürgermeister und Politiker Johann
Albert Stork. Dr. med. Gerhard Stroomann aus Kandern, der Jurist und Politiker Martin Venedy aus
Badenweiler und zuallerletzt Reinhold Zumtobel aus Hausen i.W.. SPD-Redakteur und Schriftsteller, im
NS-Regime wiederholt in Schutzhaft, 1953 mit dem Hebelpreis ausgezeichnet. Dazu der Hrsg. im
Vorwort: auch die Randgebiete - etwa Hotzenwald und Markgräflerland - gewinnen in diesem neuen Band
gegenüber den Verdichtungszonen der größeren Städte Profil bzw. sie haben nunmehr Relief gewonnen.
Vergegenwärtigen wir uns an einem beispielhaften Beitrag sowohl die Schwierigkeiten wie auch die
Diktion und die Quintessenz des Gesagten bzw. des Erstrebten! In H. 1/85 hatte der Rezensent einen
Aufsatz über 'Gerhard Stroomann. Leitender Arzt auf Bühlerhöhe', eingerückt. Anregung dazu gab in
erster Linie ein öfterer Aufenthalt ebenda, alsdann die damit zusammenhängende Beschäftigung mit
seinerzeit berühmten Gästen ä la Adenauer. Elly Ney. zuvor Stresemann, R. G. Binding und viele andere.
Eine Inaugenscheinnahme der dortigen Bibliothek enttäuschte zunächst, hingegen fand sich einige
Literatur über die abwechslungsreiche Geschichte vom Offiziersgenesungsheim bis zum Kurhaus.
Endlich gelang es dann, die Stroomannsche Hauptpublikation zu erwerben. Der geistige Habitus bzw.
Stroomanns Werdegang und Wirken kristallisierte sich zunehmend heraus. Von besonderem Interesse
waren für mich seine zunächst mehr schöngeistigen Neigungen (Studium von Literatur- und Theaterwissenschaft
), dann aber brachte ihn sein 'Menschen-Mitleid' (Folge expressionistischer Tendenzen?) zur
medizinischen Fakultät, ohne daß er sich der bloßen Naturwissenschaft verschrieben hätte. Demnach
primär ein Seelenarzt, ein Humanarzt? Seine Freiburger Praktikantenstelle konnte er noch vor dem Ersten
Weltkrieg in eine Assistentenstelle beim berühmten Münchner Professor von Romberg eintauschen': nicht
zuletzt aufgrund seiner Atemorganuntersuchungen entschied er sich 1920 für Bühlerhöhe, das unter seiner
Leitung Kurhaus und Sanatorium von internationalem Rang wurde. In erster Linie aus Menschlichkeit
schuf er seine 'Insel' abseits bloßer Hotellerie und Modekrankheiten. Es gelang ihm, die NS-Jahre mitsamt
dem Zweiten Weltkrieg (Lazarett) und erster Franzosenzeit nicht nur zu überstehen, sondern eine Oase
ohne Pseudo-Idyllik zu inszenieren. Aufschlußreich seine Gedichte. Erinnerungen und Briefe. Kollegenbegegnungen
, u.a. mit CG. Jung und Sauerbruch. Einmalig in ihrer Gattungsart seine Reflexe': spontane
Gelegenheitsniederschriften, in denen er sich ebenso mit Medizinischem wie mit Literarischem beschäftigte
. - So waren meinerseits eigentlich alle Kenntnisse vorhanden, diesen Beitrag zu leisten, doch sein
Geburtsort Kandem konnte urkundlich wenig weiterhelfen, und es bedurfte einiger Manipulationen, seine
'Ballade des äußeren Lebens' präzis dem Gesamtbeitrag voranzustellen. Soviel als Werkstattbericht.
Der Rez., selbst jahrzehntelang im lexikographischen Metier tätig, weiß aus Erfahrung, daß es Lexika
in der Kritik und vor der Kritik nicht leicht haben. Das beginnt mit den Relationen, und es läßt sich
zugegebenerweise stets darüber streiten, ob diesem w irklich so viel Zeilen und jenem tatsächlich so wenig
Zeilen gebühren, ja. ob dieser oder jener überhaupt in dieses oder jenes Lexikon hineingehört! Deshalb
wäre es müßig, hier darüber zu befinden. Man erkennt und anerkennt ohne weiteres, daß sich der Hrsg.
bzw. die Redaktion um ehrliche Maße bemühen, die allerdings in manchen Stilismen sehr großzügig
gehandhabt wurden. Dasselbe gilt für die Relationen im Hinblick auf Religionszugehörigkeit, auf
Parteipolitik, auf Wiedergutmachung und Gegenteiliges - Mut gehört stets zu extrem gelagerten Beiträgen,
doch auch diese NF der 'Badischen Biographien' hat sich nicht gescheut, entsprechend 'Realpolitik' zu
betreiben. Die erfaßten Persönlichkeiten haben zweifellos ihre Verdienste, ohne daß wir deshalb einen
Prioritätskatalog inszenieren, und für Fachleute wie für Liebhaber' ist es gleich anregend, große
Landsleute' hier vereint zu wissen, ohne daß man sie deshalb über einen Leisten kämmen würde.
Helmut Bender
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