http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1991-02/0086
Schicksal der emigrierten Intelligenz: illegale Aufenthalte, Verhaftung. Internierung im
Lager Gurs am Fuße der Pyrenäen, im Februar 1941 Trennung von seiner Frau und
Überstellung in das Lager Les Milles in der Provence. Von hier aus - wo auch Lion
Feuchtwanger und Walter Benjamin. Alfred Kantorowicz und Golo Mann. Friedrich Wolf
und Max Ernst wie viele andere Künstler und Literaten auf Strohschütten kampierten und
Walter Hasenclever sich das Leben nahm - betrieb Raphael die Ausreise nach den USA, die
ihm Mitte 1941 über Barcelona und Lissabon gelang. Seine Frau, die in Gurs festgehalten
worden war. ließ Raphael gezwungenermaßen zurück; sie konnte ihm erst im September
1945 auf einem Umweg über die Schweiz nach New York folgen.
Im amerikanischen Exil führte Raphael seinen Entwurf zu einer "Empirischen Kunstwissenschaft
" weiter, arbeitete zu literarischen, philosophischen und ethischen Fragen; aber
auch das "gesellschaftlich-politische Problem" stellte sich ihm nun, konkret: "Woher das
deutsche Geschehen? und woher die Niederlage des deutschen Marxismus?" - Fragenbereiche
, die zwischen 1942 und 1944 die Arbeit am "Deutschlandbuch" und an der "Geschichte
des deutschen Industriekapitals. Die Wirtschaft" auslösten. Parallel dazu gingen die wissenschaftlichen
Studien zur ägyptischen sowie vor- und frühgeschichtlichen Kunst weiter, die
für ihn zum methodischen Prüfstein seiner "Empirischen Kunstwissenschaft" geworden
waren. Doch die äußeren Bedingungen Raphaels waren im amerikanischen Exil nicht besser
als im französischen: Außenseiter auch hier, sowohl seinen Methoden und Inhalten wie dem
sozialen und institutionellen Umfeld nach, hatte Raphael, der sich selbst als wenig geschmeidig
und uncharmant beschrieb und sich in seinem isolierten Gelehrtendasein von den
Beziehungsmärkten stets femgehalten hatte, auch hier keine Chance zu regelmäßigen
Einkünften - und. was ebenso schwer wog, keine Aussichten auf irgendeine Würdigung
seiner Arbeit. So lösten sich Perioden hochgestimmter Besessenheit von der eigenen Arbeit,
in denen ihm alles unwirklich wurde bis auf diese selbst, mit Zeiten tiefer Depression ab. die
ihm als "höllische Wochen zwischen Tod und Wahnsinn" (S. 28) erschienen und in denen
er über sich selbst zu lachen versuchte "aus dem einfachen Grund, daß ich nichts anderes tun
kann - es sei denn, mir eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Mais je suis bien loin de lä".
Der Gedanke an Selbstmord taucht bei Raphael hier nicht zum ersten Mal auf; er findet sich
bereits in sehr frühen Tagebucheintragungen und beschäftigte ihn nicht zuletzt auch während
Max Raphael. 1948 in Cornwallbridge. liest sein Buch
Prehistoric Cave Paintings.
Foto: Campus-Verlag
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