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Verlobung und Hochzeit
"Er" hatte am gestrigen Ball das entscheidende Wort gesprochen. Kaum
hatten Vater und Bruder am nächsten Morgen das Haus verlassen, teilte
Lisbeth die Neuigkeit der Mutter mit. "Seine Mutter kommt heute morgen
zu dir, und Hans, er war Halbwaise, wird Papa im Kontor aufsuchen".
Schon lange hatte die Mutter das heimliche Keimen und Aufblühen der
Liebe im Herzen ihres Töchterleins verfolgt, und trotz ihrer kühlen Art lag
ihr das Glück ihres Kindes vor allem am Herzen; als Punkt elf Uhr die
G.'sehen Braunen vor dem Hause hielten, wurde die Dame herzlich empfangen
, und die beiden Frauen vertieften sich ins Plänemachen für die
Zukunft ihrer Kinder.
Einen viel schwereren Stand hatte der junge Bewerber beim Vater; wohl
war nichts gegen ihn einzuwenden, alles paßte: Name. Stand, Religion,
Ansichten; vom verstorbenen Vater hatte er ein schönes Vermögen geerbt.
Aber dem Papa griff eine Hand ans Herz bei dem Gedanken, sein Kind
schon so bald hergeben zu müssen. Ohne es sich eingestehen zu wollen,
hatten die aufblühende Lieblichkeit der Tochter, ihr Frohsinn, sein Herz
und sein Haus erhellt und erwärmt. Wohl war seine Elise die beste
Kameradin und Hausfrau, wohl lief das ganze Hauswesen am Schnürchen,
die Kinder waren von ihr auf das sorgfältigste erzogen worden; aber gar zu
früh hatte sie auf allen äußeren Schmuck und Reiz verzichtet und hatte sich
zu einer ehrbaren, glattgescheitelten Matrone entwickelt. Er konnte ihr
keinen, aber auch gar keinen Vorwurf machen, aber —. Der junge Mann
erhielt an diesem Morgen keine bindende Anwort.
Als sich aber zu Hause Lisbeth dem Papa strahlend um den Hals warf, und
ihm ins Ohr flüsterte: "Ich bin so sehr, sehr glücklich!" erschienen ihm seine
Bedenken im wahren, egoistischen Lichte, und am nächsten Morgen Punkt
elf Uhr hielten die B.'sehen Rappen vor dem Hause der wartenden Mutter,
und der Vater erteilte das Jawort.
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