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und alle Südzimmer als Empfangsräume reserviert haben. Gegen diesen
Brauch fing die junge Generation an, sich zu wehren. Auch die Ärzte
ergriffen das Wort. Als damals die Pest im Elsaß grassierte, und man deren
Übergreifen auch auf Basel befürchtete, schrieb ein Doktor Pfeufer in einer
"Belehrung und Beruhigung während der Cholerazeit im Elsaß" folgendes:
"Feuchte Wohnungen sind Geburtsstätten der Cholera. Selbst bei den
wohlhabenden Familien ist die unverzeihliche Gewohnheit häufig, daß die
schlechtesten Zimmer des Hauses zu Schlafstätten gemacht werden.
Gemäß der Vornehmtuerei, welche besonders in bürgerlichen Häusern so
oft an die Stelle eines wahren, kräftigen Wohllebens getreten ist, findet
man nicht selten das gesundest gelegene Zimmer geckisch geschmückt,
und wenig gebraucht. Dagegen die ganze Familie in irgend einem
feuchten Winkel zur ebenen Erde nach dem Hof hin, in welchen nie ein
erwärmender Sonnenstrahl fällt, zusammengepfercht. Das ist in gewöhnlichen
Zeiten einfältig und ungesund, zu Zeiten der Cholera lebensgefährlich
".
Etwas kopfschüttelnd gaben die Mütter nach, -"früher" war man mit der
alten Anordnung der Zimmer auch zufrieden gewesen!
Von allen Seiten kamen nun Einladungen zu den sogenannten
Brautgastierungen; fast täglich holte Hans seine festlich geschmückte
Lisbeth zu einem Anlaß ab; dabei durfte er ja nicht vergessen, daß
Bräutigam und Braut anstatt des üblichen Fränkleins ein Fünffrankenstück
unter den Teller zu schieben hatten.
Am Tag des großen Balles im Hause der Schwiegermutter erhielt das
Mädchen ihr "Brautpräsent", bestehend in einem schweren, silbernen
Kaffee- und Teeservice auf silbernem Plateau. Am Abend des Festes hing
der Bräutigam seiner glückstrahlenden Braut in ihrem Elternhaus einen
Brillantanhänger um den schmalen Hals. An ihrem Geburtstag überreichte
er ihr das Brauttaschentuch mit echten Valenciennes und die herrlichen
Brüsseler Spitzen seiner Mutter. Von allen Seiten wurde das junge Paar
verwöhnt, aber in einem kamen sie zu kurz: in sich selbst. Es blieb keine
Zeit, um sich in Ruhe kennen zu lernen, keine Zeit, um sich wirklich über
Innerstes auszusprechen! Wohl waren die Eltern einverstanden, ihre
Tochter dem jungen Mann fürs Leben anzuvertrauen, aber auf eine kurze
Stunde, auf einer Fahrt, auf einem Ausflug die Liebenden allein zu lassen,
das verbot die gute Sitte.
Leise seufzend mußte das Brautpaar immer einen Chaperon dulden,
aber es wäre ihm selbst nicht in den Sinn gekommen, sich gegen Sitte und
Gebrauch aufzulehnen. Gehorsam kam es allen Anforderungen nach,
einzeln und gemeinsam mußte es sich photographieren lassen und die sehr
geschraubten Bilder an die ganze Verwandtschaft verteilen. Ein großer
Tag war es, als die Brautvisiten zurückerstattet wurden.
Bis in die fünfziger Jahre war es Sitte gewesen, daß die Braut dieselben
in ausgeschnittener Balltoilette, mit Blumen im Haar und Diamanten um
den Hals absolvierte. Nach und nach wurden einfachere Gewohnheiten
angenommen, aber bis in die neueste Zeit war es Brauch, daß für
Brautbesuche ein Lohndiener engagiert wurde, der das Läuten an der
Haustüre und das Anmelden zu besorgen hatte.
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