http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1992-02/0171
Wie stellte er sich die ihm versagte Landpfarre-Existenz vor? Eine Antwort gibt ein in
alemannischen Versen gehaltener Brief an seinen Freund Karl August G y ß e r, dessen Sohn
sich mit dem Plan trug. Theologie zu studieren. Der Vater harte Hebel um Rat gebeten, und
dieser riet zu und schilderte die dem jungen Mann blühende berufliche Zukunft:
"Ne freudige Wechsel
Zwischen Arbet und Rueih und zwischen Studieren und Mansche
(Mariage spielen),
Zwischen Essen und Verdaue flicht si durs Lebe."
Sollte Gyßer jr. sich aber anders entscheiden, so warnt Hebel:
"vor em leidige Schulstaub
Soll der Himmel euer Chind in Gnade biwahre"!
Doch auch in diesem Fall sind die Äußerungen des Briefschreibers Hebel nicht allzu
buchstäblich zu nehmen: er erlaubt sich bewußte Übertreibung, sowohl mit dem Preislied auf
das Pfarrerleben wie mit dem Wort vom Schulstaub. Die andere Medaillenseite bemerken
wir in einem Brief an Gustave: "Dafür haben wir uns der Kirche geweiht, daß wir der Kirche
dienen, nicht wo es uns am behaglichsten scheint - sonst dienen wir uns. sondern wo sie unser
bedarf, und mit wem es sein Schicksal gut meint, dem fahrt es bisweilen schon in der Jugend
durch den Sinn, damit er es später überstanden habe, oder gewöhnt sei".
♦ ♦ ♦
Die Charakteristik und das Verständnis des Theologen Hebel bereitet die größte Mühe.
Hitzig gegenüber klagt er über die "Gefangenschaft oder Vormundschaft, in welcher uns der
angetaufte und anerzogene und angepredigte Glaube behält". "Unser dermaliger philosophischer
Gott steht, fürchte ich. auf einem schwachen Grund, nämlich auf einem Paragraphen,
und seine Verehrer sind vielleicht die törichtesten Götzendiener, denn sie beten eine
Definition an. und zwar eine selbstgemachte". Nicht der Gott der Philosophen ist gemeint,
sondern der der Dogmatik! Hebel sympathisiert mit dem Polytheismus - "nur mit Zwang und
nie mit Glück" unterbindet der "sanktionirte Monotheism. den Götterglauben und die
Anbetung derer, die uns näher sind, als der einzige, ewig unerfaßbare über den Sternen. Ich
möchte mich gerne mit einem oder mit einigen Göttern dieser Erde begnügen, die um uns
sind, die uns lieben und beobachten, die unsre Blütenknospen auftun. unsre Trauben reifen,
denen wir trauen können" wie die Juden den Engeln und die Griechen den Dämonen. - Goethe
hat Hebel in seiner Rezension der Alemannischen Gedichte für katholisch gehalten. Wen
wunderts: Hebels Sympathie für die katholische Welt ist unverkennbar. Zwar wenn er die
Wiese, die auf ihrem Weg zum Rhein die Grenze zwischen Vorderösterreich und Markgrafschaft
passiert und zugleich den Glauben "schangschiert". "e luthrische Chetzer" schilt, dann
ist das nicht so böse gemeint, wie es klingt. Aber wenn im Gedicht "Die Feldhüter" der Fritz
zum Heiner sagt, "me möcht katholisch werde", dann hat das schon mehr Aussagekraft. Und
vollends der Brief an Hitzig (vom 1. Juni 1812) mit dem Lobpreis des Wiesetals, "wo es
immer duftet wie aus einem unsichtbaren Tempel herausgeweht, und immer tönt wie letzte
Klänge ausgelüttener Festtagsglocken mit beginnenden Präludien mengeliert und verschmolzen
, und wo jeder Vogel oberländisch pfeift, und jeder, selbst der schlechteste Spatz
ein Pfarrer und heiliger Evangelist ist und jeder Sommervogel (Schmetterling) ein gemutztes
Chorbüblein. und das Weihwasser träufelt unaufhörlich und glitzert an jedem Halm".
Aber von Amtswegen vertritt Hebel den angetauften, anerzogenen und angepredigten
Glauben an jenen philosophischen Gott. In einem theologischen Aufsatz bringt er ihn auf den
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