http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1993-02/0152
angegriffen hatte, mußte er mit einer Strafe von 600 Schilling rechnen. Falls hingegen ein
Bürger einen Auswärtigen in gleicher Weise schädigte, so mußte er nur eine Höchststrafe von
60 Schilling in Kauf nehmen. Derartige Ungleichheiten im Strafrecht sind uns heute fremd. Die
Konsequenzen dieser Bestimmungen für den Betroffenen konnten drastisch sein. Damals gab
es nämlich keine gerichtlichen Instanzen im heutigen Sinne. Zwar existierten geistliche und
kaiserliche Gerichte außerhalb der Stadt, zudem konnte man sich jederzeit an den Stadtherrn
wenden. Dies war aber mit hohen Kosten verbunden. Grundsätzlich aber akzeptierten die
Städte damals ausschließlich ihre eigenen Stadtgerichte. Die Bürger schützten also jeden
Mitbürger, der außerhalb der Stadt gerichtlich belangt werden sollte. In Zweifelsfällen fragte
man bei den Freiburger Räten nach deren Rechtsgepflogenheiten nach.
Paragraph 50 besagt, daß die Stadt prinzipiell jeden als Bürger aufnehmen könnte, woher er
auch komme. Um diesen Satz und weitere Bürgerrechtsbestimmungen besser verstehen zu
können, müssen wir uns die Gesellschaftsordnung der damaligen Zeit vergegenwärtigen. Die
Dörfer waren im Besitz geistlicherund weltlicher Herren. Daher waren die Dorfbewohner nicht
frei, sondern hörig. Beispielsweise mußten sie für ihren Herrn ganz bestimmte Arbeiten
verrichten, sogenannte Frondienste. Auch die freie Wahl des Berufes stand ihnen nicht offen.
Wohnortwechsel oder Heirat waren nur mit Einverständnis des Herrn möglich. Das Erbrecht
war drastisch eingeschränkt, da ja in der Vorstellungswelt der damaligen Zeit alles dem Herrn
gehörte und nichts dem Hörigen. Ganz anders sah es in der Stadt aus. Die einzelnen Bürger
blieben frei von herrschaftlichen Bindungen. Als einzelner Bürger war man der Stadt als
Gemeinwesen verpflichtet, und dieses Gemeinwesen war als Ganzes wiederum dem Stadtherrn
verpflichtet. Aber der einzelne war frei, konnte seinen Besitz vererben oder verschenken,
konnte die Stadt verlassen und sich irgendwo anders niederlassen.
Wie wurde man nun Stadtbürger in Neuenburg, und mit welchen Rechten aber auch Pflichten
konnte ein Bürger rechnen? Immer wieder flüchteten zahlreiche Hörige aus ihren Dörfern und
ließen sich in der Stadt nieder. Insofern es sich um qualifizierte Arbeitskräfte handelte, lag dies
im Interesse der Kommune. Falls ein in die Stadt geflüchteter Höriger ein Jahr und einen Tag
unbehelligt von seinem Herrn in der Stadt lebte, so waren er und seine Familie frei. "Stadtluft
macht frei" sagt man hierzu. Falls ihn der Herr vor Ablauf dieser Frist zurückforderte, mußte
er die Stadt verlassen. In der Realität jedoch unterstützte die Stadt prinzipiell jeden Einwohner
gegen derartige Ansprüche, so daß es für den Herrn oft schwer war. den unfreien Status seines
Hörigen zu beweisen.
Die nun in der Stadt lebenden, ehemals hörigen Dorfbewohner waren nicht automatisch auch
Bürger, sondern nur Einwohner ohne Bürgerrecht. Diese wurden "Seidner" genannt. Sie waren
rechtlich schlechter gestellt als die Bürger. Trotzdem lebte manche Seidnerfamilie über
Generationen in der Stadt, ohne je das Bürgerrecht erlangt zu haben.
Wer als Einwohner nun auch Bürger werden wollte, mußte nämlich tief in die Tasche greifen.
Zunächst waren 10 Schilling an die Stadt und 2 Schilling dem Schultheißen zu entrichten. Dies
war noch bezahlbar. Jedoch zusätzlich mußte ein Bürger ein Haus im Wert von 1 Mark besitzen.
Eine damals recht hohe Summe, die Menschen ohne Ersparnisse nicht aufbringen konnten.
Dies war nicht allen Seidnern möglich. So gab es auch Einwohner, die gar nicht in den
Bürgerstand treten wollten, weil ihnen dies zu teuer war. Bürgerrecht war also an Hausbesitz
gebunden. Bei Verlust des Bürgerrechts infolge einer verbrecherischen Tat wurde auch das
Haus des Bürgers zerstört.
Neben den Rechten gab es für die Bürger auch Pflichten. So mußte jeder im Auftrag der Stadt
Kriegsdienst leisten. Falls er sich dem militärischen Angebot entzog, verlor er sein Bürgerrecht.
Auch die Steuerpflicht gehörte früher, wie heute auch, zu den wohl eher lästigen bürgerlichen
Pflichten. Hiervon waren allerdings auch die Seidner nicht befreit. Politische Ämter standen
natürlich nur den Bürgern offen.
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