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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
56.1994, Heft 1.1994
Seite: 74
(PDF, 32 MB)
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Der dritte Abschnitt führt den Gedanken der räumlich und zeitlich näherrückenden
Bedrohung fort, konkretisiert ihn geographisch und politisch - und steigert ihn
sprachlich bis zum Schluß durch den Schreckensschrei Den vyndt den kernt wir an der
handt und die eindrückliche "Kurzfabel"

Der wolffist worüch jnn dem stall
Und roubt der heiligen kyrchen schoff
Die w ile der hirtt tyt jnn dem schloff.

Spätestens hier wird deutlich, daß Brant nicht nur Kirchen geschichte schreibt.
Mit der Eroberung des lateinischen Kaiserreichs Konstantinopel 1453 und des
Kaiserreichs Trapezunt im nordöstlichen Kleinasien 1461 durch die Türken wird das
politische Selbstbewußtsein Europas erschüttert. Die konkrete Benennung
zahlreicher Länder- und Städtenamen zeigt Brant als realistischen und eindringlichen
Rhetoriker, der mit seinen Mitteln in das Zeitgeschehen eingreifen möchte.

Im vierten Abschnitt nimmt Brant die kirchengeschichtliche Argumentation zunächst
wieder auf, indem er den Verlust der vier Patriarchenstädte erwähnt, jener
Städte, die in Anlehnung an die Erzväter des Alten Testaments (Abraham, Isaak und
Jakob) im frühen Christentum zu Bischofssitzen mit besonderer Bedeutung wurden.
Alexandria wurde bereits 642 von den Arabern erobert, Jerusalem gelangte nach den
Kreuzzügen 1243 wieder in arabische Hand, Antiochia ging 1268, Konstantinopel
1453 für das Christentum verloren.

Mit den Zeilen Das ist als unser Sünden schuht/' Keyns mit dem andern hatt gedult
stimmt Brant einen neuen - und zugleich alten - Ton an: Als Moralist und nicht als
Kritiker der herrschenden Aristokratie wendet er sich nun an die gesamte sündige
Menschheit. Typisch mittelalterlich werden politische Katastrophen religiös gedeutet
: den Sünder straft Gott. Und dennoch geht Brant über die mittelalterlich-traditionelle
Argumentation hinaus, indem er im folgenden eher "moderne", vernunftorientierte
und rationale "Minifabeln" und - von Horaz übernommene - Bilder verwendet.
Denn sowohl das Verhalten der Ochsen als auch das der Menschen bei herannahendem
Feuer ist nicht sündig, sondern dumm und un-vernünftig. Brant argumentiert fast
schon "bürgerlich-aufklärerisch", indem er den individuellen Schutz des Privateigentums
gutheißt:

und gdenckt nit/ das er vor lesch uß
Das für/ ee es jm kum zu huß.
Der fünfte Abschnitt bildet in bezus auf die Zeilenzahl und den Inhalt das Zentrum
des 99. Kapitels. Mit dem rhetorischen Mittel der Apostrophe, der personifizierenden
Anrede, leitet Brant diesen Abschnitt ein: O Rom\ Eine pathetisch vorgetragene
Skizze der römischen Geschichte reicht von der Königszeit über die Republik, die
Zeit der Ständekämpfe bis zur Kaiserzeit und dem Ende des römischen Imperiums.
Aufschlußreich ist der Satz Bist funffzehen hundert jor gesyn. Sebastian Brant geht
noch völlig selbstverständlich vom Gedanken der translatio imperii aus, der die
Herrschaftskontinuität von Rom über Byzanz, Karl dem Großen bis zum "Heiligen
Römischen Reich deutscher Nation" zum Inhalt hatte. Verfall des Glaubens und
Verfall des Reiches, religiöse und politische Untergangsstimmung werden im Zen-

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