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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
56.1994, Heft 1.1994
Seite: 85
(PDF, 32 MB)
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aussetzt und was sie verunsichert. Es würde die Zahl der Beispiele vermehren, ohne
daß man dem Kern der Sache näherkäme. Die Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach
der Rechtschaffenheit dessen, was einer täglich tut, ob es vor seinem Gewissen
bestehen kann oder ob sich einer bloß in die eigene Tasche lügt, die Frage nach Gott
und Tod, ob der Mensch aus freiem Willen handelt oder alles Handeln vorherbestimmt
ist - diese Fragen werden von dem oberflächlichen Geschehen, von dem
Überfluß an Eindrücken aus dem Unterhaltungsangebot unserer Zeit, das kein
Nachdenken zuläßt, lediglich überspielt, nicht jedoch beantwortet und noch weniger
auch nur einigermaßen gelöst.

Die Umwelt und äußeren Umstände unseres Lebens verändern sich von Tag zu Tag.
Eine Veränderung, die früher auf mehrere Geschlechterfolgen verteilt war, vollzieht
sich heute in einem Jahr oder wenigen Wochen. Doch das ist die Oberfläche, die. vom
Wind bewest. sich kräuselt und kleine Wellen wirft. Unter der Oberfläche ändert sich
viel weniger als man gemeinhin glaubt. Das Leben und die grundsätzlichen Fragen,
auf die der Mensch eine Antwort braucht, wenn er nach dem Sinn seines Lebens und
dem des Weltgeschehens fragt, stellen sich seit Jahrtausenden gleich und unverändert
. Auf sie muß der Mensch auch in unserer Zeit eine Antwort finden, wenn er nicht
ins Leere fallen will. Er kann die Sinnfragen seines Lebens zwar verdrängen, eines
Tages aber holen sie ihn ein. Die Antwort wird jedoch nicht von Zeitungen.
Zeitschriften. Radio oder Fernsehen mit den zahlreichen, häufig dummen und
blödelnden Unterhaltungssendungen gegeben.

Hebels Erzählungen als Kalendermann und Rheinländischer Hausfreund spiegeln das
Geschehen und die Menschen seiner Zeit und Welt. Beide sind uns fremd geworden; es
gibt sie so nicht mehr. Die Geschichten sind dennoch wahr. Ihre Zeit und ihre Menschen
sind nämlich nur die eine Ebene, sind Rahmen und Beiwerk, um nacherlebbar zu
machen, was erzählt werden soll. Daneben, auf einer zweiten Ebene, haben sie einen
tiefen menschlichen und überzeitlichen Gehalt. Dieser überzeitliche Gehalt ist es, der die
Geschichten bedeutsam und für heutige Menschen gültig macht. Es ist Audruck eines
Sittengesetzes, das seinen Ursprung in der Natur oder, wenn man will, in Gott hat.

Die Arbeit im Handwerk und auf dem Land mit ihrer Abhängigkeit vom Naturgeschehen
und ohne abendliches Fernsehen brachte zu Hebels Zeit die Menschen
einander näher und machte sie nachdenklich. Die Nachdenklichkeit war der Boden
für Lebenserfahruns und gesunden Menschenverstand. Der heutige Mensch hat. von
Ausnahmen abgesehen, für Nachdenklichkeit keine Zeit; er wird umgetrieben.
Daneben ist der Mensch durch Nachrichten und Unterhaltung ständig überfüttert.
Obwohl er unendlich viel mehr Zeit für sich selbst hat als irgendeine Generation vor
ihm. kommt er nicht mehr zu sich selbst. Er hat keinen Boden unter den Füßen und
lebt in Unsicherheit und Angst.

Hebels Kalendergeschichten sind, im Gegensatz zur Literatur unserer Zeit, ein
Ruhepunkt; sie vermitteln geistige und seelische Besinnung. Zahlreiche Geschichten
geben Antw orten auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens, wo einer als Mensch in
dieser Welt steht, was er vor seinem Gewissen verantworten kann oder muß. Der
nachdenkliche Leser kommt zu sich selbst.

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