http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1994-01/0122
Die Arbeiterbewegung im Dreiländereck
I. Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges
Hermann Wichers
Wenn man sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung im sogenannten Dreiländereck
vor 1914 befaßt, so kommt der seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts
aufstrebenden Industriestadt Basel als regionalem Zentrum besondere Bedeutung
zu. Mit dem raschen industriellen Ausbau der Stadt, der sich wesentlich auf die
Seidenindustrie und die Bekleidungsbranche abstützte, stieg die Einwohnerzahl
Basels stark an. Hatte die Stadt um 1800 etwa 15000 Einwohner, so waren es
1860 bereits 38000, 1880 dann gut 60000, 1900 fast 110000 und 1910 mehr als
132000. Dieses ernorme Wachstum veränderte die soziale, demographische und
nationale Zusammensetzung der Basler Bevölkerung. So bildete sich spätestens ab
der Mitte des 19. Jahrhunderts eine ebenso rasch wie die Stadt wachsende und
zusehends klarer abgegrenzte Arbeiterschaft heraus, die sich im wesentlichen aus
den Zuwanderern rekrutierte. Der weitaus größte Teil von ihnen stammte aus dem
Baselbiet und den Nachbarregionen Badens und des Elsaß, das seit dem deutschfranzösischen
Krieg von 1870/71 zum damaligen Reichsland Elsaß-Lothringen
gehörte. Die übrigen kamen aus anderen Ländern des Deutschen Reiches sowie
aus Italien und Frankreich l). Wirtschaftlich war Basel eng mit Südbaden und dem
Elsaß verknüpft. Dies galt vor allem für Mülhausen, das viele Jahrhunderte zur
Eidgenossenschaft gehört und sich erst 1798 Frankreich angeschlossen hatte. Sowohl
in Südbaden als auch im Elsaß spielte Schweizer Kapital eine wichtige Rolle
im Industrialisierungsprozeß. Demgegenüber bestanden kaum Verbindungen zwischen
Südbaden und dem Elsaß. Beide Regionen lebten eher "Rücken an Rücken",
ohne daß zwischen ihnen eine nennenswerte wirtschaftliche Verflechtung entstanden
wäre2'.
Staatsgrenzen hatten vor dem Ersten Weltkrieg nicht die Bedeutung, die wir
ihnen heute beimessen. Man konnte sie ohne große Formalitäten überqueren und
sich im Ausland für einige Zeit oder dauernd niederlassen. So zog Basel viele
Ausländer an, die hier einen Arbeitsplatz suchten. Bereits 1835 betrug ihr Anteil
an der Wohnbevölkerung rund 20 Prozent. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
verdoppelte sich ihr Anteil auf etwa 40 Prozent. Tatsächlich war die Zuwanderung
noch stärker, wenn man die vielen Einbürgerungen berücksichtigt, die damals im
Gegensatz zu heute schon nach wenigen Jahren beantragt werden konnten und
dann meist problemlos vonstatten gingen. Rund 4/5 aller Ausländer kamen aus
dem Deutschen Reich. Mehr als die Hälfte von ihnen stammte aus dem Großherzogtum
Baden, der Rest zu etwa gleichen Teilen aus Württemberg, Elsaß-Lothringen
und dem übrigen Reichsgebiet. Im Jahre 1910 lebten gut 41000 Deutsche in
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