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Revue passieren, wo eine Orientierung nach Werten, auf deren Suche auch schon jene 16jährigen
waren, wie Menschlichkeit. Verantwortungsbewußtsein. Vaterlandsliebe. Kameradschaft. Zuverlässigkeit
und gegenseitiges Vertrauen durch die damalige ..Umwertung aller Werte" fast unmöglich gemacht
wurde. Sich dennoch in diesem Irrgarten für ein künftig sinnvolles Leben zurechtzufinden, zeigt
diese Schilderung eines Flakhelfers am Hochrhein, eine Schilderung, in der sich eigentlich jeder
wiederfinden kann, der diese Tage miterlebte.
Diese ebenso nüchterne wie fesselnde Schrift zu Ereignissen, die wir glaubten, längst bei der
Geschichte ad acta gelegt zu haben, hat für unsere Tage neue Aktualität erhalten in einer Welt, die
immer noch nicht zu dem erhofften Frieden gefunden hat.
Zum Autor: 1928 in Karlsruhe geboren, lebt und arbeitet heute in Baden-Baden. Zahlreiche juristische
, kriminologische und historische Veröffentlichungen. Mitglied des Freien Deutschen Autorenverbandes
(FDA). Gerhard Moehring
Erich Spiegelhalter (Fotografie) und Dorothee Philipp (Text):
Markgräflerland
Kehrer- Verlag Freiburg
Es ist schon ein wunderschönes Land, das Markgräflerland. Die meisten der Menschen, die hier leben,
wissen das. Und auch diejenigen, die kurz einmal die Nase reingesteckt haben, wurden vermutlich den
Eindruck nicht mehr los. einen Zipfel vom Paradies gesehen zu haben. "Paradies aus zweiter Hand" hat die
Journalistin Dorothee Philipp einen Text über die idyllische Kulturlandschaft am Fuße des südlichen
Schwarzwaldes betitelt, und ist heutzutage damit begrifflich vielleicht näher dran an einer zutreffenden
Beschreibung als der große Grenzüberschreiter Rene Schickele. der den von Klima und Geographie
begnadeten Landstrich im Südwesten Badens noch mit der Toscana vergleichen durfte. Doch die Zeiten
haben sich geändert und damit auch der Blick, mit dem wir die Dinge sehen. Und so wundert nicht, daß
in der Formulierung selbst schon eine Ahnung vom Gefährdetsein des "Paradieses" angelegt und die
Verantwortung der hier lebenden Menschen für ihren Lebensraum festgeschrieben ist.
Der im Freiburger Kehrer-Verlag jüngst erschienene Band "Markgräflerland" - die Fotografien
stammen von Erich Spiegelhalter, die Texte von Dorothee Philipp - ist eine rundum gelungene Liebeserklärung
. Und gibt Anlaß zur Überprüfung der Volksweisheit, daß Liebe blind mache. Das beeindruckend
schön gestaltete Buch gibt eher Anlaß zur Behauptung des Gegenteils. Gerade weil es offenkundig mit
großer Zuneigung zum "Sujet" gemacht worden ist. gestattet es den distanzlosen Blick gleichermaßen wie
auch die darüber transportierte Sorge, daß die Idylle bedroht sein könnte.
Die Fotografien, fast unwirklich in ihrer Farbenpracht, reizen dazu, durch Inaugenscheinnahme des
"Modells" die Kamera Lügen zu strafen. Doch das Kameraauge, in Zeiten der technischen Manipulierbar-
keit aller Bilder sehr wohl dem Abbild wie der Fiktion gleichermaßen und häufig bis zur Unentwirrbarkeit
beider "Realitäten" verschrieben, hier hält es dem kritischen Vergleich stand, beschämt eher das femseh-
verdorbene. mißtrauische Auge, das sich gelegentlich zw ingen muß. den Reiz der alltäglichen Lebenswelt
wieder wahrzunehmen. Die Fotografien sind auch eine Einladung, die eingefahrenen Perspektiven zu
überprüfen und so den Dingen neue Bedeutung zukommen zu lassen: Die Dinge sind nicht so. wie man sie
sieht, sondern sie sind so. wie man sie sieht und so. wie sie die anderen sehen, und alle diese Blickwinkel
zusammen ergeben eine Ahnung von der Beschaffenheit der Dinge. Die Fotografien sind so auch ein
Angebot, die jeweiligen "Standpunkte" durch die Ergänzung mit anderen Blickwinkeln in Richtung
Wirklichkeit zu korrigieren.
Die Texte, journalistisch leichtgängig geschrieben, von großer Sachkenntnis und Liebe zum Detail
geprägt, ohne sich aber lehrerhaft darin zu verlieren und die Leser zu langweilen, kurzweilig also,
anekdotenhaft, patchworkartig: Willkürlich fast wird der "Flickenteppich" Markgräflerland an verschiedenen
Stellen angehoben, um den Blick auf Geschichte. Mentali täten und Gebräuche, auf Sonderheiten wie
Sonderlichkeiten zuzulassen. Doch ohne den Anspruch, damit ein fertiges Gesamtbild entworfen zu haben.
Eher umgekehrt: Die erzählten Geschichten laden dazu ein. die Region als eine Vielfalt selbst neu zu
entdecken, ihren Geheimnissen und Geschichten auf die Spur zu kommen. Und wenn die Anordnung der
Texte auch einer erkennbaren Logik entspricht, so laden sie auch ein. darin zu flanieren, an irgendeiner
Stelle im Buch, wie das Stehenbleiben bei einem Spaziergang, wenn das Auge zum Verweilen und die
Gedanken zum Innehalten einladen.
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