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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
57.1995, Heft 1.1995
Seite: 136
(PDF, 34 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1995-01/0138
in Basel, nachdem sie sich von ihrem Mann, dem Schweizer Ingenieur Jacques
Stehelin. getrennt hatte. Kaschnitz wollte mit ihrer Schwester vor allem über die
Zukunft des Hauses in Bollschweil sprechen. Sie traf eine pessimistische und
deprimierte Lonjaan. Viel Unvollendetes lag auf dem Schreibtisch der "bewunderte(n)
und beneidete(n) ältere(n) Schwester (...). sie ist in der Geschichte 'Das dicke Kind'
die anmutige Schlittschuhläuferin, das furchtlose kleine Mädchen, das in den Gewitternächten
auf die höchste Galerie des großväterlichen Schwarzwaldhauses klettert
und singt. Da ist manches Spätere schon angedeutet, die poetische Begabung meiner
Schwester, ihre Kühnheit und körperliche Gewandtheit, aber natürlich nicht alles,
nicht ihre franziskanische Lust am Weggeben, nicht ihre Liebe zum unbekannten
Nächsten, nicht das Verlangen nach Gerechtigkeit, das sie ihr Leben lang erfüllte. (...)
Die Jahre des Zweiten Weltkriegs verbrachte sie, schon geschieden, in Basel, litt unter
ihrem Nicht-Leiden. Nicht-Hungern. Nicht-in-Gefahr-Sein, sehnte sich nach dem
heruntergekommenen, dann in Trümmer geschlagenen Deutschland zurück. (...)
Neben ihrem ganz ursprünglichen poetischen Talent und ihrer großen Einfühlungsgabe
ging ein Hang zur Wissenschaft, im Basler Institut für Volkskunde las und
exzerpierte sie. die Frucht war ein Buch über Lebensgesetze im Märchen, eine höchst
interessante Untersuchuns. die aber in keinen Verlas passen wollte und deren
Manuskript im Nachlaß nicht aufzufinden war" (III. 741 ff). Neben der Charakterisierung
Lonjas erfahren wir erneut etwas über Basel, die unzerstört-ordentliche Stadt,
in der sich Lonja dennoch nicht wohlfühlte. Beide Kaschnitz-Schwestern empfanden
offensichtlich eine innere Mitschuld am zerstörten Deutschland. Und so verwundert
es nicht, daß Marie Luise Kaschnitz das Thema "Schuld" in der unmittelbaren
Nachkriegszeit zum Thema eines Essays machte, der 1946 in der Sammlung "Menschen
und Dinge" erschien: "Und was tatest du? Allerorten hörten wir jetzt diese
Frage, die uns seltsam anmutet aus Menschenmund, weil sie in ihrem schweren und
tiefen Klang doch eigentlich jener höheren Prüfung zusteht, die sich am Ende allen
Lebens vollzieht und die wir das Jüngste Gericht nennen. Da sie uns aber von
Menschen vorgelegt wird, widerstrebt es uns fast, uns rechtfertigen zu wollen. Denn
wir verstehen, daß mit unserer Tat nichts anderes gemeint ist als unser Kampf gegen
das Böse schlechthin. Und nur allzu rasch will sich ein Trotz erheben gegen die
Frager, diese von der Geschichte aufgerufenen Zwischenrichter, von denen nicht
einer ohne Sünde sich weiß" (VII, 69). Dreierlei ist für Kaschnitz' Beantwortung der
Schuldfrage typisch: ihre Erklärungsmuster sind weitgehend metaphysisch, religiös,
unpolitisch. Gegen Schuldzuweisungen durch die Siegermächte sträubt sie sich. Erst
später findet Kaschnitz zu einer realistischen, politisch bewußteren Sprache. Ihre
Begegnungen und Erfahrungen in Basel haben diese Entwicklung sicher beeinflußt.

Ort 3: Der Totentanz

Ende 1944 schrieb Marie Luise Kaschnitz - nach der Zerstörung Frankfurts - ein
lyrisches Drama, das 1946 zusammen mit den "Gedichten zur Zeit" unter dem Titel

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