http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1995-02/0058
Valerys Gedicht "Les Pas" im französischen Original und in Rainer Maria Rilkes
Übertragung "Die Schritte" (BZ. 10.5.46).
Ab Juni 46 kamen zunehmend auch zeitgenössische Autoren zu Wort. Nachdem
Werner Bergengruen 2}> schon am 8.3.46 mit seinem Gedicht "Die Sühne" - aus
der 1944 entstandenen, in christlicher Tradition geschriebenen Sammlung "Dies
irae" - in Erscheinung trat, war es dann zunächst Tami Oelfken, deren Gedicht
"Mondsichel überm Schwarzwald" am 24.5.46 in der BZ abgedruckt wurde. Die
1888 bei Bremen geborene Lyrikerin und Erzählerin war an den Bodensee ins
"Exil" gegangen und hatte dort ihre "innere Emigration" überlebt:4'. Ihr Gedicht
"Mondsichel überm Schwarzwald" ist ganz in der romantischen Tradition zu Hause
: "Wo ferne die Vogesen sanft im Grau verschweben./ da glühn die Wolkenbänke
nach im Abendsang ..." (BZ, 24.5.46). In ihren autobiographischen Erzählungen
machte sie aus ihrer Vorliebe zu Tieck und Eichendorff auch kein Geheimnis
(BZ, 26.2.46 und 17.5.46). Für uns sind Oelfkens Prosastücke aber auch leicht zu
entschlüsselnde Dokumente ihres psychischen Zustandes direkt nach Kriegsende:
In einer Geschichte bringt die Erzählerin eine Biedermeier-Uhr aus ihrer Kindheit
wieder in Gang, die nun "rennt, als wolle sie nachholen, was sie in den Jahren, da
sie achtlos herumgestoßen wurde, versäumt hat. (...) Sie tickt. Die genaue Zeit
anzuweisen, das bringt jede Uhr fertig, aber meine, unserer so leblosen Vergangenheit
ein neues Leben einzuticken. die ewige Unruhe unseres Herzens von
V/
Abb. 3: Rudolf Hagelstange
(Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.)
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