http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-1998-02/0140
Ernst Schleith
Helga Geiger
Der Alemanne würde sagen: „Mer siht nur dra
ane. aber nit dri ine".
Diese weisen Worte sind keine leeren Phrasen,
denn es ist sehr schwierig, einen Menschen zu beurteilen
, selbst wenn man mit ihm zur gleichen
Zeit leben würde. Seine Gedanken verbirgt ja jeder
vor sich und seinen Mitmenschen so gut er kann.
Deshalb ist es fast anmaßend, einen Menschen
zu analysieren, der von einer anderen Epoche, angefüllt
mit Kriegen, technischen Umwälzungen,
revolutionären Ideen und trotzdem bodenständiger
Denkweise geprägt wurde.
Es wird also immer ein kläglicher Versuch bleiben
, den ..Menschen" Ernst Schleith und dessen
Lebensweise und Denken zu beschreiben. (Etwas einfacher wäre es. seine vielen
Werke einzuordnen.)
Auf einem Gedenkstein für einen Romancier und Maler mitten in Frankreich las
ich folgenden Text: ..Der Mensch wird geboren, um seine Talente bis zur Besessenheit
zu erleiden".
Dieser Vers würde auch zum Leben des Malers Ernst Schleith passen.
Es war eine Art Besessenheit, die seine Jahre prägte, die Besessenheit der malerischen
Perfektion, die er. wie er glaubte und wußte, nie erreichen würde.
Anhand seiner vielfältigen Korrespondenz, die er mit seinen Gönnern und väterlichen
Freunden führte, kann man versuchen, einzelne Wegstrecken des Malers
und Menschen Ernst Schleith nachzuvollziehen.
Immer wieder versuchte er. aus der Welt der Engstirnigkeit, in die er 1871
hineingeboren wurde, auszubrechen. Doch das heimatliche Erbe, die ..Scholle",
ließ ihn nicht aus den Fängen.
Diesen Zwiespalt der Gefühle erkennt man schon sehr früh, wollte er doch ein
..perfekter" Maler werden. Dieser Wunsch nach absoluter Perfektion sollte ihn zeit
seines Lebens begleiten, hemmte ihn aber gleichzeitig. Er schrieb einmal in einem
seiner Briefe: „Ach, zwischen wollen und können liegt doch so ein weiter Weg!".
Schon während seines Kunststudiums in Karlsruhe gab er zu erkennen, daß er
sich in einer städtischen Umgebung nicht unbedingt wohl fühlte, fehlte ihm doch
seine Heimat. War er aber im Schwarzwald zu Besuch, zog es ihn schon wieder in
die Fremde, nach München, um seine Studien zu vervollständigen.
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