http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2000-01/0021
Die über das Normalmaß üblicher Selbstdarstellungen von Industriebetrieben
weit hinausragende Buchproduktion erhält ein besonderes überregionales Gewicht
durch die Veröffentlichung von 41 historischen Aufnahmen eines der bedeutendsten
Industriefotografen seiner Zeit: Dr. Paul Wolff2'. Er prägte wie kein anderer
die Industriefotografie der 1920er und 1930er Jahre, indem er durch den Einsatz
der Kleinbildkamera „Leica"' völlig neue Dimensionen der Darstellung von Arbeitswelt
erschloß. Daß er im Sommer 1941 in Otlingen, Wehr und Hausen wirkte
und eine ebenso umfassende wie fotografisch brillante Dokumentation der „Brennet
" anfertigte, ist eine kleine industriegeschichtliche Sensation. Leider war es den
Autoren des Bildbandes aufgrund der Quellenlage nicht möglich, noch vor der
Drucklegung des Buches der interessanten Frage nachzugehen, wie es dazu kam.
daß ausgerechnet der „Magier der Leica" von der Firmenleitung für diese Aufgabe
eingesetzt wurde. Aktuelle Recherchen kommen zu den im folgenden dargelegten
Ergebnissen.
Als die „Brennet" im Jahr 1931 ihr 50jähriges Bestehen feiern wollte, machte
ihr die Weltwirtschaftskrise einen Strich durch die Rechnung. Die 1881 gegründete
Buntweberei mußte um ihr Überleben kämpfen und richtete das Augenmerk
daher auf die alltägliche Arbeit. Diese ließ keinen Spielraum für größere Feierlichkeiten
oder die Herausgabe einer umfangreichen Publikation zu. Dafür faßte man
den nächsten „runden" Geburtstag ins Auge: die Feier des 60jährigen Bestehens
im Jahr 1941.
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges erhielt daher der Stuttgarter Wirtschaftshistoriker
Dr. Rudolf L. Mehmke den Auftrag zur Erarbeitung einer Firmenchronik.
Trotz des Krieges hoffte man, das Projekt rasch beenden zu können. Doch die
Situation sollte sich mit dem Kriegsverlauf ändern. „Der Krieg dauert länger, als
wir anfänglich dachten", schrieb Mehmke im September 1943 an Robert Denk,
der damals beim Feldbekleidungsamt der Luftwaffe in Mühlsach/Lothringen diente3
'. Er zählte zur Unternehmerfamilie und war seit 1932 Mitglied im Vorstand.
Da eine historische Denkschrift unter diesen Umständen nicht realisiert werden
konnte, verfaßte Mehmke einen Bericht über sein „Vorprojekt", der als Grundlage
einer späteren Publikation dienen sollte 4|. Die Firmenleitung nahm sich bereits
damals vor, das projektierte Buch zur „Feier des 75jährigen Bestehens der M.B.B,
nach weiteren 13 Jahren" 51 herauszugeben. Aber auch daraus wurde nichts, da
nach dem Krieg alle Energien in den Wiederaufbau flössen. Mehmke publizierte
die Quintessenz seiner Forschungsergebnisse schließlich in einem Artikel der
Wehrer Lokalzeitung „Der Wehrataler". Dieser erschien im Rahmen einer wirtschaftsgeschichtlichen
Serie zur Stadterhebung Wehrs im Jahr 1950.61
Obwohl bisher weder die Korrespondenz noch der Vertrag zwischen dem Fotografen
Paul Wolff und der „Brennet" im Firmenarchiv aufgetaucht sind, muß man
dennoch mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß Wolff die Fotografien
zur Illustration der geplanten Werkschronik des Dr. Mehmke liefern sollte. Die
Firma „Dr. Paul Wolff&Tritschler". die sich auf die fotografische Dokumentation
industrieller Betriebe spezialisiert hatte und in ihrer Branche zur internationalen
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