http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2001-02/0137
Die sozialen Grundpfeiler der mittelalterlichen Gesellschaft aber hatten sich
jetzt überlebt. Die Menschen waren bereit, jahrhundertealte Gewohnheiten kritisch
zu überdenken. Ihr Horizont war weiter geworden: Reformen standen vor der Tür.
Die von Martin Luther 1517 durch den Thesenanschlag an die Schlosskirche
von Wittenberg angestoßene Erneuerung der Kirche ließ im Markgräflerland noch
lange auf sich warten. Markgraf Ernst konnte sich nicht entschließen. Erst sein
Sohn Karl II. führte 1556 die Entscheidung herbei. Am 1. Juni 1556 wurde in
seinen Landen die Reformation eingeführt. Kernpunkt der neuen Lehre waren
Predigt und Bibelauslegung, die Anwendung der deutschen Sprache bei Gebeten
und Gesängen und die Begrenzung der Sakramente auf Taufe und Abendmahl.
Um der neuen Ordnung draußen in den Dörfern Form und Inhalt zu geben, wurden
Kirchenvisitationen angeordnet. Sie liefern uns interessante Einblicke. Fast
überall im Bezirk fehlte es noch an Schulen. Wer aber seinen Glauben auf das Wort
der Bibel gründen wollte, musste dafür sorgen, dass seine Untergebenen lesen können
. Bis in allen Dörfern Schulen eingerichtet waren, ging noch ein weiteres Jahrzehnt
zu Ende. Auf die Frage, wie es in Hügelheim um die Sitte bestellt sei. kam die
zwiespältige Antwort: Die Gemeinde sei zwar christlich und werde von Paul Misra-
letus betreut. ..einem lieben und freundlichen man. der mit grosem fleiß und ernst''
seinen Predigten nachgeht und sich der wahren christlichen Religion in Lehre. Leben
und Wandel gehorsam halte, doch dem Vogt sei ..das schändliche laster des
sauffens... gar gemein und [ge]breuchlich"201. Der Hügelheimer Bürgermeister befand
sich indessen in guter Gesellschaft. Sein Bugginger Kollege beispielsweise
wird als ..ein gar versoffen vögtlin" bezeichnet und daraus kühn auf die ganze
Gemeinde geschlossen. Wir dürfen davon ausgehen, dass sich dieser Zustand, dank
der Kontrolle durch die Kirche, in absehbarer Zeit gebessert hat.
Ein Reibungspunkt besonderer Art war die Tatsache, dass der Abt von St. Blasien
nach wie vor Zehntherr in der Gemeinde blieb. Das führte zunächst zu Konflikten
hinsichtlich der Pfarrbesolduns. für die der kleine Zehnte bisher aufgewendet
wurde. Jetzt sperrte sich die Abtei St. Blasien und wollte ihn „nit richtig geben",
wie es im Visitationsprotokoll von 1560 heißt. Weil dieses Problem auch an
anderen Orten der Markgrafschaft auftauchte, erging der fürstliche Bescheid, der
Amtmann von Badenweiler solle im ganzen Amt ernstlich gebieten, das den Pfarrern
zu geben, was ihnen zusteht, sonst würde man die dem Kloster zustehenden
Gefälle kurzerhand einbehalten. Im Vertrag von Neuenburg (1561) wurde besiegelt
, dass es bei den alten Rechten und Pflichten bleiben solle. Dazu gehörte auch
die Baupflicht des Zehntherrn am Pfarrhaus und einem Teil der Kirche.
Bei der Berufung der evangelischen Pfarrer wollte der Abt von St. Blasien auch
weiterhin ein gewichtiges Wort mitreden. Das sollte zwar im Einvernehmen mit
der markgräflichen Regierung erfolgen, die sich eine Prüfung des zu Ernennenden
durch den Superintendenten (Dekan) vorbehielt, aber die Forderungen des katholischen
Zehntherren wurden bei den Hüselheimer Pfarrern zumindest mit Befrem-
den. bei einem unter ihnen jedoch mit größtem Widerwillen aufgenommen, wie
die nachfolgende Geschichte zeigt.
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