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gen wegen der strittigen Auwälder immer noch nicht zu einem rechtlichen Austrag
mit den vier (später lediglich drei) linksrheinischen Dörfern gekommen; vielmehr
hatte sich Neuenbürgs Zwangslage trotz mehrmaliger Fürbitten des dritten Landstandes
bei der oberösterreichischen Regierung in Innsbruck nur noch verschlimmert42
. Zehn Ratsherren wurden nämlich 1517, als sie beim Ensisheimer Regiment
die städtischen Beschwerden vortragen wollten, auf offener Straße von den Dorfbewohnern
gefangengenommen und abgeführt43. Trotz dieses Gewaltakts haben die
Bestimmungen des nachherigen Schiedsspruchs Neuenbürgs Nutzungsrechte in den
Rheinauen empfindlich geschmälert, drohte doch der Stadt, wie der Rat in seinem
heftigen Protest zum Ausdruck brachte, der Verlust von 2 800 Hektar Auwald44.
Es wäre gewiß unzulässig, die Lage Neuenbürgs zu verallgemeinern. Die häufigen
Überschwemmungen, die die Rheinbrücke und Teile der Stadt hinwegrissen
- die schlimmste Hochwasserkatastrophe hat 1527 ein Drittel der Stadt zerstört -,
stellten eine einmalige Gefahr dar. Doch der Streit mit den elsässischen Dörfern
zeigt sehr deutlich die Grenzen von Neuenbürgs herrschaftlicher Durchdringung
seines Hinterlandes und somit seiner wirtschaftspolitischen Ausstrahlung. Die
Stadt stand den Dörfern fast machtlos gegenüber: Beim Ensisheimer Regiment
konnte sie offenbar nichts bewirken; gemeinsame Appelle des dritten Landstandes
an Innsbruck verhallten, wie es scheint, ergebnislos. Und zum Schluß mußte
Neuenburg auf einen großen Teil der Auwälder verzichten. In dieser existentiellen
Frage wurde Neuenburg seinem Schicksal überlassen.
Von Städten wie Endingen und Waldkirch, die im 16. Jahrhundert in wirtschaftlicher
Konkurrenz mit den markgräflichen Marktflecken standen45, oder von
Kenzingen in seinem Streit mit den umliegenden Dörfern um Nutzungsrechte zur
Zeit des Bauernkriegs46 könnte man ein ähnliches Lied singen. Kurzum: Ihr Bedeutungsüberschuß
als zentrale Orte, um bei der Terminologie Walter Christallers
zu bleiben, reichte trotz Stadtrechten und Marktprivilegien offenbar nicht aus, um
sich gegenüber ihrem Hinterland erfolgreich zu behaupten. Statt einer ausgeglichenen
Verteilung von zentralen Orten innerhalb einer funktionalen Hierarchie begegnet
uns im Breisgau vielmehr ein wirtschaftliches Gedränge um Absatzgebiet,
Marktanteil und Ressourcen47.
V.
Versuchen wir zum Schluß, diese Ergebnisse zu reflektieren. Blickt man über
den Rhein nach Süden, so stehen uns die umfangreichen Forschungen von Hektor
Ammann zur Verfügung, der sich vor allem mit Markt- und Messegründungen
und der Rolle der Kleinstädte in der mittelalterlichen Schweizer Wirtschaft beschäftigt
hat. Ammann ging es nicht vorrangig darum, vergleichende theoretische
Modelle auszuarbeiten; seine Analysen der aargauischen Kleinstädte führten ihn
jedoch zu bemerkenswerten Schlußfolgerungen, die uns am Oberrhein zu denken
geben sollen. Um 1500, so resümierte er, machten die Städte bis zu einem Drittel,
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