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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
66.2004, Heft 2.2004
Seite: 106
(PDF, 28 MB)
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ins Leben, die nun Niederlassungen in Spanien und London unterhielt/" In Kippenheim
profitierte man auch weiterhin von den Durlachers, die ihrer Heimatgemeinde
beträchtliche Stiftungsgelder zur Verfügung stellten.5'" Im Ort hatte Emilie
Durlacher (1865-1931), das jüngste Kind Samuel und Sara Durlachers, inzwischen
(1887) den aus Malsch zugezogenen Landarzt Dr. Julius Stern (1861-1908) geheiratet
. Selma Stern kam am 24. Juli 1890 als zweites Kind der beiden zur Welt.

Das vorgestellte Schreiben des Jahres 1858 aus der innerjüdischen Kommunikation
stellt trotz seines eher unscheinbaren Inhalts ein für die oberrheinische Regionalgeschichte
vereinzelt dastehendes Quellenzeugnis aus einer Epoche des Übergangs
in der Geschichte des deutschen Judentums dar. Zwischen der Generation von Kurt
Weill und Selma Stern sowie derjenigen der Briefabsender und -empfänger lagen
lediglich etwa acht bis neun Jahrzehnte. In diesem Zeitraum erlebten die deutschen
Juden einen gravierenden Wandel ihrer gesellschaftlichen Stellung. Jakob Elias und
Charlotte Meyer sowie Samuel und Sara Durchlacher verbrachten noch den größten
Teil ihres Lebens als Bürger zweiter Klasse, mit weitaus weniger Persönlichkeitsrechten
ausgestattet als ihre christlichen Nachbarn. Das oberrheinische Landjudentum
des 18. und 19. Jahrhunderts, aus denen die beschriebenen Familien stammten,
lebte überwiegend in ausgesprochen eingeschränkten Verhältnissen. Erst die nachfolgende
Generation besaß auf der Basis verbesserter rechtlicher Rahmenbedingungen
seit Mitte des 19. Jahrhunderts konkretere Möglichkeiten zu einem sozialen
Aufstieg, von dem wiederum ihre Kinder profitieren sollten. Sehr oft war dies mit
einem tiefgreifenden Akkulturations- bzw. Assimilationsbestreben verbunden. Doch
schon Kurt Weill und Selma Stern mussten erfahren und durch ihre eigene Emigration
1933 bzw. 1941 auch selbst durchleben, wie die bürgerliche Gleichstellung der
deutschen Juden durch den nationalsozialistischen Staat wieder vollständig zertrümmert
wurde. So sah sich Selma Stern schon bald nach der Machtübertragung
an Hitlers NSDAP gezwungen, von „einem wieder in Absonderung gedrängten,
von wirtschaftlicher und seelischer Not beschwerten, in seinem Glauben enttäuschten
und sein Ziel nicht mehr kennenden Geschlecht" zu sprechen.51 Der dezidierte
Charakter eines Einzelstückes, den der hier vorgestellte Brief trägt, deutet auf die
umfassende Zerstörung und Zerstreuung jüdischen Privatbesitzes, der dieser Entrechtung
folgte. Mit der Deportation von mehr als 1000 Jüdinnen und Juden im
Oktober 1940 aus insgesamt 40 Orten endete die über 250-jährige Geschichte des
neuzeitlichen Judentums im südbadischen Raum.52'Die Familien von Kurt Weill
und Selma Stern, ihre Verwandten in Müllheim und Kippenheim, waren zuvor viele
Jahre die Träger dieser nunmehr zerstörten Kultur gewesen.

Zur Wahrnehmung des Landjudentums durch die Nachkommen: ein Exkurs

Die Opfer durften bei ihrer Verschleppung nur wenig Gepäck und Habseligkeiten
mit auf die ins Unbekannte führende Reise nehmen. Häuser und Hausrat
wurden versteigert oder zerstört. Somit blieben den überlebenden Nachkommen

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