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sein15. Soldaten wurden von der bäuerlichen und städtischen Bevölkerung oft verachtet
, sie galten als soziale Außenseiter und halbe Kriminelle, als Männer, denen
es nicht gelungen war, sich eine normale Existenz als Handwerker und Familienvater
oder als Besitzer eines Bauernhofes aufzubauen, und die deshalb die Flucht
in den Krieg angetreten hatten, bereit zu jeder Schandtat, nur um sich auf diese
Weise ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Noch tiefer war die Verachtung gegenüber
den Frauen, die den Soldaten folgten und die man als bessere Prostituierte betrachtete
, selbst dann, wenn sie mit den Männern, denen sie sich angeschlossen
hatten, verheiratet waren und mit ihnen semeinsame Kinder hatten. In der Tat
scheint die Präsenz von Frauen in der Lagergesellschaft die Spannungen zwischen
Militär und Zivilbevölkerung nicht etwa gemildert, sondern eher noch gesteigert
zu haben16.
Umgekehrt neideten die einfachen Soldaten den Zivilisten ihre Sicherheit und
ihren relativen Wohlstand und suchten durch Gewaltanwendung ihren Status und
ihre Ehre in der ständischen Gesellschaft, von der sie so dezidiert ausgeschlossen
waren, zu behaupten. Militärische Einheiten besaßen überdies einen spezifischen
„esprit de corps", soweit es sich nicht um Milizen und Garnisonstruppen handelte,
die eng mit der zivilen Gesellschaft verbunden blieben, aus der sie stammten; aber
solche Truppen waren für Feldzüge außerhalb ihres Rekrutierungsgebietes faktisch
kaum einsetzbar. Bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten die aus Landsknechten
bestehenden Regimenter auch noch eine Art genossenschaftlicher Verfassung
gehabt. An wesentlichen Entscheidungen war die Gesamtheit der Soldaten, die
.Gemeine", beteiligt, so vor allem auch an der Ausübung der Militärjustiz. Solche
Elemente einer eigenen korporativen Verfassung wurden allerdings von den
Kriegsherren immer mehr zurückgedrängt1". Die Soldaten des Dreißigjährigen
Krieges befanden sich von daher in einem schwierigen Übergangsstadium: Sie waren
nicht mehr die selbstbewussten Landsknechte des frühen 16. Jahrhunderts,
sondern hatten einen Statusverlust erlitten, aber sie waren auch noch nicht die
durch permanenten Drill disziplinierten und faktisch zu Maschinen abgerichteten
Soldaten des 18. Jahrhunderts. Viele Disziplinprobleme mögen auch durch diesen
prekären Übergangszustand zwischen zwei Formen der Heeresorganisation bedingt
gewesen sein.
Allerdings, mochte auch der genossenschaftliche Charakter der Regimenter
1618 sehr viel schwächer geworden sein, so mussten doch gerade die kampfstarken
Einheiten - also Truppen, die bereit waren, fern der Heimat mit hohem Risiko
im Feindesland zu operieren -. fast schon per definitionem über eine starke kollektive
Identität verfügen, die durch entsprechende Feindbilder stabilisiert wurde. Besaßen
sie diese nicht, beeinträchtigte dies ihre Kampfkraft. Und Feind war in diesem
Sinne dann nicht nur oder nicht einmal in erster Linie der militärische Gegner,
sondern die gesamte Umwelt einschließlich der Zivilbevölkerung. Ähnliches findet
man ja noch heute bei Armeen, die in einem fremden Land sich gegen Angriffe
von Partisanen zur Wehr setzen müssen und dann auch den Mord an Zivilisten
oder die Anwendung von Folter als ganz legitim betrachten, wenn sie sich in ir-
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