http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2007-02/0249
Nach der ersten Zerstörung im Jahr 1675 hatten sie bereits vier Jahre im Nachbardorf
verbracht. Sie trafen auf Mitbürger, die bei der Einnahme der Stadt hierher
geflüchtet waren und schon Häuser und Scheunen errichtet hatten. Die Flüchtlinge
mussten zunächst die dortige Herrschaft, den Fürstbischof von Basel, Wilhelm Jakob
, um Aufnahme bitten. Wien unterstützte ihr Begehren und bat den Bischof, denen
exulierenden Neuenburger Burgeren ein Unterschlaüff zu vergönnen, ob peri-
culum fidei. damit ihr Glaube nicht in Gefahr käme und sie sich nicht in protestantischen
Gemeinden bürgerlich aufnehmen ließen4. Das Seelenheil der Untertanen
interessierte Wien offenbar mehr als deren Wohlergehen. Der Fürstbischof gewährte
ihnen seinen landesfürstlichen Schutz, die Neuenburger versprachen, seine Untertanen
auf khein edenekhliche Weisse molestieren noch beschwehren zu wollen
und sich gehorsam zu verhalten-. Glaubten sie wirklich, dass das Zusammenleben
ohne größere Schwierigkeiten gelingen würde? Schließlich hatte das Dorf Flüchtlinge
aufgenommen, die keine oder nur wenig Besitztümer hatten retten können
und die Hilfe benötigten.
Die Neuenburger mussten Überlebensstrategien entwickeln, um nicht zu verhungern
und zu erfrieren. Als erstes errichteten sie Hütten, danach begannen sie, Land
zu bebauen. Dadurch wurden schon die ersten Konflikte ausgelöst, denn ihre eigenen
Güter konnten sie wegen des Kriegs und auch wegen der großen Entfernung
nicht bestellen. Sie begannen, das bisher von beiden Gemeinden als Weide genutzte
Gebiet „Lienen" anzubauen und es wegen des frei umherlaufenden Viehs
einzuzäunen. Die Steinenstädter beschwerten sich - so etwas hätten ihre Vorfahren
, so auch wackhere Leuth geweßen, niemahlen verüebet6. Das Verhältnis hatte
sich schon nach einem Jahr getrübt, die Dorfbewohner fühlten sich belästigt und
stießen bald Verwünschungen gegen sie aus: Sie sollen mitsambt ihme Pfaffen dem
Teufel zugehen in das Margrajfenland1.
Wie kam es zu diesem Sinneswandel, wie reagierte ihr Stadtoberhaupt darauf?
Der alte Bürgermeister Boll war schon vor der Zerstörung der Stadt geflüchtet und
1703 in Steinenstadt gestorben. Klugerweise hatten die Neuenburger danach den
aus Steinenstadt gebürtigen, aber in Neuenburg ansässigen Johann Linder gewählt.
Mit ihm erhielten sie jedoch ein herrisches und eigenwilliges Stadtoberhaupt, das
sich für teures Geld im Kameralhaus der Johanniter einmietete*, während sie selbst
in primitiven Hütten hausten. Er hielt sich außerdem an keine Regeln, zahlte die
fälligen Zinsen erst nach einem Gerichtsbeschluss, legte Weinberge an ohne Genehmigung
, beschäftigte protestantische Erntehelfer aus Auggen und ließ auf seinen
großen Gütern mit fünf Pflügen zu Acker fahren, und das an Feiertagen. Er
weigerte sich auch, bei Pfarrer Christen zu beichten. Pfarrkind von Schliengen sei
er, nicht von Neuenburg4. Damit grenzte er sich von den Stadtbürgern ab und blieb
ein Außenseiter, zusammen mit einigen Gleichgesinnten. Es wundert nicht, dass
sich Bürgermeister und Pfarrer, beides starke Persönlichkeiten, zeitlebens bekriegten
, sehr zum Nachteil für das Zusammenleben der Gemeinde.
Nicht nur mit den Steinenstädtern, auch mit dem Fürstbischof haderten die Neuenburger
. als dieser ein halbes Jahr nach der Zerstörung Neuenbürgs Schliengen
247
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2007-02/0249