http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2007-02/0254
Neuenburg, zum Teil gleich mehrere Familien mit denselben Namen. Nimmt man
ein Telefonbuch zur Hand, so finden sich sogar 22 Familiennamen aus der Zeit
nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder. Die Heimatstadt muss eine große Anziehungskraft
für sie besessen haben, berücksichtigt man die dazwischen liegenden
Kriegszeiten und die geringe Zahl der Überlebenden.
Wie schwierig es für Alteingesessene und Neuenburger der zweiten und dritten
Generation war, sich in ihren neuen Lebensverhältnissen zurecht zu finden, lassen
die Geburtenzahlen ahnen. Zwischen 1690 und 1710 bewegten sie sich auf einem
niedrigen Niveau, etwa 4-5 Geburten pro Jahr. Derart niedrige Geburtenraten sind
immer ein Zeichen für krisenhafte Lebensumstände und starke psychische Belastung
. Erst zwischen 1720 und 1730 hatten sich die Lebensverhältnisse der Neuenburger
so weit stabilisiert, dass sich die Geburtenzahlen verdoppelten-2. Daher ist
auch erst in diesem Jahrzehnt eine beträchtliche Zunahme der Einwohner zu verzeichnen
.
Wie wurde nun der Wiederaufbau bewältigt? Zunächst mussten die alten Hausplätze
von Schutt und Trümmern gereinigt werden, um überhaupt darauf bauen zu
können. Aber wie fanden die Neuenburger ihre früheren Hausplätze wieder? Es ist
davon auszugehen, dass die noch stehenden Festungswerke ihnen Anhaltspunkte
lieferten, auch wenn die Stadttore nicht mehr vorhanden waren, die Straßen nicht
erkennbar, der Bach zugeschüttet. Pfarrer Christen fand jedenfalls den Platz wieder
, auf dem einst das Kapuzinerkloster stand. Dort hatte schon sein gleichnamiger
Onkel den Pfarrhof errichten lassen, und dort entstand er 1717 erneut, wie dem
Pfarrbuch zu entnehmen ist23. Alle ehemaligen Hofstätten waren mit Bodenzinsen
belastet, so dass die Bürger die ödt ligende Brandtstätt eilender nit wohnhafft machen
wollten. Eine Befreiung von allen Abgaben war notwendig, um sie zur
Widererbawung ihrer destruirten Häußeren zu ermuntern. Diese Formulierung
lässt darauf schließen, dass sie ihren ehemaligen Hausplatz zumindest annähernd
lokalisieren konnten24. Der gleiche Grundriss musste deshalb nicht zwangsläufig
entstehen, im Gegenteil: Zunächst wurde ungeordnet gebaut, ohne feste Regeln
und Vorschriften. Die zurückgekehrten Bürger versuchten lediglich, ihr früheres
Grundstück wiederzufinden und darauf ein Haus zu errichten. In der Regel erwiesen
sich gerade die Grundeigentumsverhältnisse als stabil.
Ohne finanzielle Hilfe war der Wiederaufbau jedoch nicht zu bewältigen. Die
Stadt bat und erhielt - wie schon nach der letzten Zerstörung - eine Befreiung von
Steuer und Kontribution, die mehrfach verlängert wurde. Der Kaiser setzte sich
sehr für die Stadt ein und befahl. Neuenburg all nur immer thuenliche hilf zu leisten
und ihm darüber Bericht zu erstatten. Sowohl Joseph L als auch Karl VI. bemühten
sich, der Stadt wieder aufzuhelfen, und billigten ihr ebenfalls den Zoll und
das Ungeld. eine Abgabe auf Wein, für 30 Jahre zu25.
Innerhalb von zwei Jahren waren auf den Trümmern der noch von Festungsteilen
umgebenen Stadt aber erst ohngefähr 40 zum Thaill vom Stroh schlechtlich auferbaute
Belohnungen entstanden26. Die Bewohner ernährten sich von Fischfang und
Ackerbau. Jeder Bürger hatte zu Beginn der Wiederbesiedlung aus Gemeindeall-
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