http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2009-01/0158
Grenzlinie zwischen Deutschen und Franzosen. Dann nicht mehr. Dann wieder.
Heute jedenfalls nicht mehr. Was soll das heißen? Verwirrung, Kopfschütteln.
Die Lehrerin nennt Daten und Fakten. Sie wirkt leicht genervt. Einige hängen an
ihren MP3-Playern. Sind ganz woanders. Gemurmel, leise Proteste: „Wann sind
wir endlich in Colmar?"
In Gipfelnähe des Grand Ballon das Denkmal der französischen Gebirgsjäger im
Ersten Weltkrieg. Die „Blauen Teufel". Das Denkmal: 1927 vom damaligen Sieger
errichtet, 1940 vom damaligen Sieger entfernt, 1960 neu errichtet.
Die Gipfelkuppe. Der Sturm aus dem Westen bläst so stark, dass man sich mit
dem Rücken in den Windstrom stemmen kann. Einige Jungs strecken sich mit
mehr oder weniger Erfolg auf imaginären Liegestühlen, fast alle fallen schnell auf
den Hosenboden. Ein skurriles Bild! Gelächter, Gekreische! Ausgelassenheit! Wie
im Kindergarten fast. Die Lehrerin macht Fotos von ihrer Truppe. - Die Steinfiguren
des Denkmals trotzen derweil in unerschütterlichem Ernst dem virtuellen
Feind... Eine französische Schülergruppe, auch sie auf Klassenfahrt, lacht mit den
jungen Deutschen. Alles klatscht im Rhythmus. Fast unwirklich die Szene, hier,
auf dem höchsten Berg des Elsass! Japaner machen Videos, lächeln vergnügt. Eine
Dame mittleren Alters mit Mountainbike, Schweizerin, sagt neidvoll zu den Lehrern
: „Das isch sauglatt! So vill Jugend. So vill Läbe! Sie henn e tolle Job!" Schülerrufe
: „Das Event muss irgendwie auf die Schul-Homepage!" Die Lehrerin:
„Stimmt! Macht sich sehr gut!" Wiederum Gelächter.
Aus dem Westen ziehen dunkle Wolken heran. Der Sturm lässt etwas nach. Eine
Schülerin hat ein Radio dabei, trotz Verbots. Das Musikprogramm wird plötzlich
unterbrochen, aktuelle Durchsage: russische Truppen haben soeben eine von
Tschetschenen besetzte Schule gestürmt. Viele Schulkinder müssen sterben. Im
Nordkaukasus. Weit weg.
Es regnet auf dem Grand Ballon. Es wird kalt. Alles hastet auseinander... Der
Bus fährt ins Tal. Auch die Lehrer freuen sich jetzt auf das Shopping.
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