http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2009-02/0063
bestimmt. Nicht die Symmetrie, nicht die Regelmäßigkeit der Fensterachsen, nicht
die Einheitlichkeit der Fensterformate sind die entscheidenden Ordnungsgesichtspunkte
(wie später im Barock und Klassizismus). Vielmehr wurden Fenster bedarfsgemäß
, also entsprechend dem Raumprogramm, nach Größe und Gestalt differenziert
und recht frei positioniert. Große repräsentative Stuben bekamen mehrteilige
Gruppenfenster, die häufig in der Weise gestaffelt sind, dass zwei Rechteckfenster
ein etwas überhöhtes Mittelfenster flankieren. Gewöhnliche Kammern haben
einfache Rechteckfenster. Bei entsprechendem Lichtbedarf wurden gekuppelte
zweiteilige fällig. Kreuzstockfenster sind selten. Bei Fluren, Speichern begnügte
man sich mit entsprechend kleineren Rechtecköffnungen, verzichtete aber auch
hier nicht auf die Hohlkehlen.
Wurden, was häufig geschah, die spätmittelalterlichen Fenster später verändert,
so konnte dies in verschiedener Weise geschehen. Am einfachsten war es, bei
zweiteiligen Fenstern den Mittelpfosten herauszuschlagen, um so etwas mehr
Licht zu bekommen. Oft sieht man noch heute die übrig gebliebenen Ansatzstellen
- so etwa bei einem Obergeschossfenster auf der Westseite des Gemppschen
Hauses. Sogar bei dreiteiligen Fenstern riskierte man gelegentlich die Entfernung
im Vertrauen darauf, dass der Sturz dies aushält. Man sieht: Auch wenn das ganze
„Fenstergestelle" verändert wurde, selbst wenn man im 20. Jahrhundert ganz moderne
, völlig schmucklose Öffnungen schuf, können noch heute alte Fensterformate
, z.B. die ungewöhnliche Breite eines Fensters, auf ein ehemaliges (mehrteiliges
) gotisches Fenster hindeuten. Sind alle alten Fenster verändert, so zeugt,
selbst wenn sie ihre alten Proportionen verloren haben, manchmal deren unregelmäßige
Verteilung in der Wandfläche vom einstigen Zustand, lässt also vermuten,
dass das Haus im Kern älter ist, als dies die gegenwärtigen Fenster- und Türformen
und evtl. am Bau angebrachte jüngere Daten annehmen lassen. Oft bezeugt
noch ein einziges Fenster mit gotischen Fenstergewänden, meist zuoberst im Giebeldreieck
, das hohe Alter der Kernsubstanz. Am Haus Dorf Straße 10 deutet ein
altes schmales gotisches Fenster mitten in der Westgiebelseite, das so gar nicht zu
den andern, später veränderten Fenstern passt, auf das höhere Alter des Baukernes
hin, das auch durch den erhaltenen Rundbogeneingang bezeugt wird. In den
Brandversicherungsakten von 1843 steht die vage Altersangabe: „etwa 200 Jahre".
Auch der Westgiebel des Hauses Talstraße 6 verrät durch die Anordnung und Proportionen
der Fenster schon von weitem das höhere Alter.
Verbreitet waren an spätgotischen Wohnbauten Staffelgiebel, wobei offensichtlich
die Staffeln in späterer Zeit häufig entfernt wurden. Es ist möglich, dass das
Haus Gempp einmal Staffelgiebel besaß. Seine straßenseitige Giebelfront zeigt
eine starke Ähnlichkeit mit der des Weiler „Stapflehuses", auch mit der des schönen
Staffelgiebelhauses an der Niedereggener Dorfstraße, nur dass bei diesen eben
die „Stapften" erhalten sind. Hatte man die im Grunde unnötigen Staffeln entfernt,
konnte man die entstandene Mauerschräge leicht dauerhaft mit Ziegeln schützen.
Wozu die Staffel- oder Treppengiebel dienen sollten, ist nicht eindeutig zu beantworten
. Sollten sie die Dachhaut vor Sturmschäden oder dem Übergreifen von
61
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2009-02/0063