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de und Staat zu handhaben sei. Die Sträflinge mussten sich - wie alle anderen Auswanderer
auch - zur Auswanderung bereit erklären. Niemand wurde zum Fortgehen
gezwungen.37) Freilich war die Grenze zwischen Zwang und Freiwilligkeit
fließend: Vor die Alternativen einer Fortsetzung der Haftstrafe oder der Ausgrenzung
in der Heimatgemeinde und dem Verlassen der Heimat gestellt, wählten viele
die letztere. Sie hofften, in Amerika bessere Lebensbedingungen vorzufinden.
Auch die besonders geächteten Sexualstraftäter konnten ein neues, unbescholtenes
Leben anfangen.
Nicht zuletzt flohen bekanntlich zahlreiche Revolutionäre der Jahre 1848/49 wie
Friedrich Hecker nach Nordamerika, um einer Verhaftung zu entkommen. Unter
ihnen befand sich Kaufmann und Soldat Karl Ritter aus Karsau, der „Mitglied des
revolutionären Landesausschusses" gewesen war, „somit zu den Oberleitern der
Revolution38) gehörte und bei der Meuterei in Rastatt eine maßgebliche Rolle gespielt
hatte. Er war wegen „Hochverrat und Aufruhr" zum Tode verurteilt worden
und flüchtete zunächst in die Schweiz. Im Juni 1850 schrieb das Bezirksamt Lörrach
an das Ministerium des Innern, dass sich nach seinen Erkundigungen „in verschiedenen
Gasthäusern auf dem Birsfeld" bei Basel etwa 20 politische Flüchtlinge
befänden, u.a. Ritter aus Kar sau und Müller aus Grenzach. Weiter heißt es:
„Mehrere derselben beabsichtigen, nach Amerika auszuwandern, und wollen in
Basel mit ihren Angehörigen zur gemeinschaftlichen Weiterreise zusammentreffen
." 39) Ritter hielt im Schweizer Exil vor seinen Gesinnungsgenossen mitreißende
Reden. In einer Tagebuchaufzeichnung, die im Generallandesarchiv in Karlsruhe
aufbewahrt wird, heißt es: „Ritter (von Kar sau) hat uns heute vorgemalt, wie das
zugehe, wenn wir hinüber gehen, da werden Nasen und Ohren abgeschnitten, was
dann Ritter mit gebührenden Gesticulationen mit dem Tischmesser an seiner eigenen
Nasen manifestierte; und da werden dann in den Magazinen die Cigarren-
Päckli herausgenommen und an die Freischärler vertheilt, und jeder kriege gratis
seine Pfeife; Wein und Schnaps wird in Strömen fließen, mit dem Blut der Philister
, der Soldaten, der Preußen und Beamten."40)
In Baden fürchtete man lange einen solchen Überfall von an der Grenze lebenden
Revolutionären. Der eifrige Oberzollinspektor Courtin vom Hauptzollamt bei
Rheinfelden schrieb im Dezember 1851 einen seitenlangen Brief über die Aktivitäten
der Freischärler auf schweizerischer Seite und die ihm nötig scheinenden
Maßnahmen dagegen. Auch war er ein Denunziant, der u. a. berichtete, „der Sohn
des Lehrers Ritter von Karsau" sei in Liestal gewesen, „obwohl dieser einen Brief
von ihm angeblich aus Amerika überall vorzeigt"41). Altlehrer Ritter litt wegen seines
revolutionären Sohnes offensichtlich unter starken Repressalien in Karsau. Er
stellte 1852 beim Bezirksamt den Antrag, die polizeiliche Aufsicht über seine Person
aufzuheben, weil „der Flüchtling Karl Ritter schon weit mehr als ein Jahr die
Schweiz verlaßen, und nach Nordamerika übersiedelt sei." Dieser Wunsch wurde
ihm gewährt.42)
fiin „normaler" Straftäter aus Karsau war Josef B., der wegen Diebstahls in
Bruchsal einsaß. Seine Reststrafe wurde ihm erlassen, „jedoch unter der Bedin-
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