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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
72.2010, Heft 2.2010
Seite: 118
(PDF, 31 MB)
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werklicher" Bemühungen. Gerade darum sind für ihn „Muße" und „Muse" Grundbedingung
für den Schaffensprozess (vgl. B 450). Dass in den Gedichten wie in aller
Kunst Unerschöpfliches und Unableitbares steckt, muss nicht eigens betont
werden. Sich selbst schreibt er in typischer Untertreibung nur die Idee zu, auf
diese neuartige Weise zu dichten: „Der glückliche Einfall, eine edlere Dichtung in
dieser ungewöhnlichen Manier zu versuchen, war wohl das meiste" (B 159).

Er erklärt, als er von der „anomalischen Geschichte" der „allemannische(n)
Muse" berichtet: „Fast unwillkührlich, doch nicht ganz ohne Veranlassung fieng
ich im 41 ten Jahr wieder an" (B 492). Leider erwähnt er den Anlass nicht und gibt
ihn somit für Mutmaßungen frei. Aufgrund der lateinischen Bemerkungen liegt es
aber nahe, den Anlass in Hebels intensiver Beschäftigung mit dem Feld einer
Kunsttheorie für das Volk (Popularästhetik) zu sehen just in dem Zeitraum, in dem
der Großteil der Gedichte im Entstehen begriffen war. Die lateinisch zum Ausdruck
gebrachte Selbstcharakteristik des Dichters bringt jene Überlegungen zu einer
Kunst für das Volk in den Zusammenhang des Pfarrberufes, nämlich seiner anspruchsvollen
Aufgaben als Hofprediger und Verfasser von Gebeten für den Gottesdienst
. Seine Überlegungen waren also nicht „neutral", sondern aufs Engste
verbunden mit dieser Aufgabe: Wer predigte und im Gottesdienst öffentlich betete,
musste sich mit diesen Fragen auseinandersetzen.

Diesen Zusammenhang veranschaulicht eine an sich unscheinbare Szene. Sie
spielt auf dem Dobel (bei Bad Herrenalb) im Sommer 1799. Hebel schildert mit
feiner Ironie, wie er ein Ehepaar beobachtet und erlebt, wie es plötzlich alemannisch
(bzw. berndeutsch) spricht: „Sie glauben nicht, wie lieblich mir diese bekannten
Töne so unerwartet ins Ohr fielen" (B 76). Das ist aussagekräftiger, als es
scheint. Hebel verbrachte die Tage dort aus einem bestimmten Grund: „Hier wollte
ich ... an den Kirchengebeten arbeiten ..." (B 76). Das heißt: Er beschäftigt sich mit
der Praxis, die von entsprechenden theoretischen Überlegungen begleitet war. Wobei
er sogar „lange" damit „umgieng", „metrische Versuche zu wagen" (B 105)!
Und genau im selben Brief wird der für uns nicht immer gegenwärtige Bezugsrahmen
sichtbar: „Wohl sehne ich mich schon lange, und immer, und oft sehr lebhaft
nach einer Landpfarrey, und nach dem stillen Wohlseyn, das ich dort träume"
(B 77). Hier treffen zusammen: Die alemannische Sprache; eine anspruchsvolle Aufgabe
von Textarbeit, die genau in den Bereich der Popularästhetik gehört, nämlich
Inhalte in einer für die Fassbarkeit der Bevölkerung geeigneten Form darzustellen,
und schließlich das Motiv vom Landpfarramt, mit dem er den Gedanken der (von
ihm später immer mehr vermissten, „Kreativität" fördernden) Muße verbindet.10

3. Die Erstauflage der auf alemannisch verfassten Gedichte 1803 verschweigt
den nur durch die Initialen J.P.H. bezeichneten Autorennamen und schiebt ein lateinisches
Motto vor: „Sylvestrem tenui musam meditabor avena"11. Das muss
man sich auf der Zunge zergehen lassen: Dieser Verstehenshinweis eines anonymen
Autors ist ja nur für Gebildete entzifferbar, nicht für die Leser, an die das
Büchlein sich doch richtet! Er ist ein Vers aus Hirtengedichten des römischen

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