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Das Markgräflerland: Beiträge zu seiner Geschichte und Kultur
74.2012, Heft 2.2012
Seite: 62
(PDF, 29 MB)
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glücklicherweise vom Aberglauben nicht ganz frei war, so erreichte sie es leicht,
dass man ihr glaubte und sich herzhaft oder manchmal auch nicht ein bisschen
herzhaft fürchtete. Neben ihr in der Fensterecke standen immer ihre Krücken und
versahen diese Stunden mit etwas menschlicher Wehmut. Es war vollkommen unmöglich
, gegen sie ungezogen zu sein, und es ist eben daher meine Überzeugung
geworden, dass, wer bei Kindern alles erreicht, auch bei Gott allmächtig ist.

Die Müllersleute gegenüber waren evangelisch und wurden darum mit Vorsicht
behandelt, obwohl ihr Mehl genau so aussah, wie das der umliegenden katholischen
Müller, und sich ebenso gut buk, wenn man nur das Backen verstand. Die
Eheleute lebten nicht friedlich. Der Mann hatte den Wein lieber, als die Zufriedenheit
und das Wohlgefallen seiner Frau an ihm. Vielleicht lag es auch an der Frau,
dass er ihren Sachen nichts nachfragte, jedenfalls machten sie miteinander dem
evangelischen Namen nicht viel Ehre, und der katholische Pfarrherr der Gemeinde
hatte es bequem, zu zeigen, wohin das mit der Religionsänderung in der Welt
schon geführt habe. In der Müllerei gingen ein paar Kinder um, erwachsene Söhne
und Töchter, und ein Mädchen ungefähr von meinem Alter, mit dem ich mich befreundete
, ein schon ankatholisiertes Böcklein mit einem streng evangelischen
Schaf. Es zeigte sich, dass das Schaf so stößig war wie irgendein Bock; in dem
Mädchen steckte das Zeug zu drei Jungen, und dann fiel noch eine normale deutsche
Hausfrau ab. Da es mir wertvoll schien, von ihr geachtet zu sein, so gab ich
mir Mühe, in keiner Sache hinter ihr zurückzubleiben. Springen, Klettern und
Radschlagen war ihr alles eins, und ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben
sehen, was es mit gesunden und festen Gliedern auch bei den Weibern auf sich hat,
ja, ich könnte kurz gefasst vermelden: Das Mädchen war meine erste Bekanntschaft
mit dem Leben, das zweigeschlechtig ist. Ich sagte mir ganz richtig: ,Ein
junges Mensch von so haltbarer Verfassung ist aller Ehrenwert'. Einleitungsweise
erfuhr ich auch, was ich später immer mehr bestätigt fand: dass niemand und
nichts einen Mann so zur Potenz machen kann, wie ein rechtes, gelobtes Weibsbild
, dem die Natur aus den Augen blitzt. Jedes tut, was es kann; das Müllermädchen
machte nur ein Männchen zum Potenzchen.

Die jungen Leute im Haus des Großvaters arbeiteten tagsüber in einer Sodafabrik
, die eine Viertelstunde vom Dorf rheinwärts stand, wo eine längstvergangene
Erdperiode die notwendigen Stoffe dafür niedergelegt hatte. Einmal geriet ich in
das Werk hinein und bekam so den ersten Fabrikbetrieb vor Augen.

Die Anlage ist nicht klein und, soviel ich später erfuhr, weltbekannt. Geleise
führten von der Bahn dahin, und schon dass die Fabrik mit dieser hochrühmlichen
Einrichtung in direkten Beziehungen stand, genügte, um ihr meinen uneingeschränkten
Respekt zu verschaffen.

Nun verschluckte mich ein großes Tor, und nahm mich ein weiter, dampfender,
brodelnder Magen auf, in dem Räder surrten und Treibriemen durcheinander
schwirrten, beizende Dünste aufstiegen, Dampfwolken wie kämpfende Dämonen
vor offenen Fensterluken zurück geschlagen wurden, Menschen stumm und gespannt
hin und her liefen, und sich alles furchtbar vielgestaltig abwickelte. Ich

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