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fand dort viele Leute, die ich gut kannte, und die mir jetzt in völlig unverständlichen
Bedeutungen erschienen. Ich begriff einen Menschen, wenn er aus seinem
Fenster guckte oder in seinem Holzschopf sägte, aber nicht mehr, wenn er in einem
Betrieb arbeitete, von dem ich nicht im mindesten wusste, wem er gehörte,
oder wodurch er existierte. Man sagte mir nachher, die Fabrikbesitzer seien die
und die Herren, aber ich glaubte es nicht; ich hielt es für unwahrscheinlich, dass
einigen Leuten so große Verfügungen zustehen sollten, ohne dass sie Kaiser und
Könige waren. Dass die Fabrik Löhne ausbezahlte, missfiel mir nicht, allein es
blieben so viel Abers zu verwinden und Ungehörigkeiten zu verrechnen, dass ich
der ganzen Sache misstraute und mich rein beobachtend verhielt. Dazu war ich
dem Werk gram, weil es sich das billig zu habende Vergnügen geleistet hatte, einen
armen, kleinen Wicht zwischen Rädern, Kesseln, Treibriemen und Dämpfen
herumzuwerfen und ihm seine Gewalt zu zeigen, ohne ihm etwas dafür zu geben,
etwa eine fassbare Anschauung, die mit anderen Erscheinungen, dem Wetter oder
dem Wald, übereinstimmte, oder auch nur eine kurze, freundliche Vertröstung auf
später. Bloß traurig und krank machte es mich mit seiner absoluten Fertigkeit, hinter
der mir geheimnisvolle, unabsehbare Bedrohungen und festbestimmte Enttäuschungen
zu stehen schienen. Die Räume waren hässlich und hohnvoll kahl. Es
roch übel, und die Gefahr langte aus allen Winkeln und Gängen nach dem lebendigen
Fleisch. Wie stimmte das mit den Dingen in der lieben frommen Dorfkirche
zusammen? Alles sah nach Mühsal aus, und es widerstrebte meinen Wünschen
durchaus, dass mein blonder Onkel und meine blonde Tante sich dort tagsüber aufhielten
.
Vollends begriff ich nicht, dass ich meine Freunde dort lachen und schwatzen
sah, und ich hielt dafür, dass sie sich in irgendeiner bösen Verzauberung befanden.
Natürlich vertiefte diese Beobachtung meinen Argwohn noch und machte meine
Abneigung für diesmal endgültig und unüberwindlich.
Desto inniger schloss ich mich meinem Großvater an, der mir als ein guter Naturgeist
vorkam, von dem alle Erklärungen zu haben waren. Überall, wo es schön
und erfreulich herging, da befand er sich, auf den Wiesen, im Wald, im Himmelreich
' und in der Stube bei der Großmutter, was ich ihm alles beinahe als ein persönliches
Verdienst anrechnete. In der Himmelreichkapelle durfte ich zur Vesper
läuten, und auch dort schwang ich die Glöckchen zur Frühmesse und zu den anderen
Kirchenzeiten. Es waren nur immer wenige Leute da, und man befand sich so
traulich unter sich mit der Muttergottes und den anderen paar Heiligen, die sich
dort verehren ließen. Nach den Ämtern räumten wir dann das Kirchlein miteinander
auf, brachten das Weihrauchfass mit dem Wedel an seinen Ort, stäubten da und
dort ein wenig herum, schlössen die Sakristei ab und gingen in den Wald, wo Holz
geschlagen wurde.
Der Wald erklang von den Schlägen der Äxte und dem Gesang der Sägen. Der
Boden war kalt und gefroren; in den Wagengeleisen lag das Eis. Am Niederholz
hing noch das welke Laub vom Herbst; dazwischen standen dunkelgrüne Büsche
von Buchs und Stechpalme. Der Wyhlener Wald war nie ganz tot. Im Frühling und
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