http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2013-01/0102
Uberraschend, wie diese Zeilen Hebels Gestaltung schon vorwegnahmen! (Ob
Hebel Roemers Werk kannte, ist bisher nicht nachweisbar.)
Auch in den ersten Gedichten, die die Katastrophe thematisierten, erschien das
Motiv der „Ruhe vor dem Sturm" eindrücklich. Der Dichter J. M. M. Aansorgh
schrieb:
„And'ren wien de blijde morgen
In een stiller rust begon,
Maakten plannen, hadden zorgen
Zoo voor avond als voor morgen,
Onbekommerd voor de rampen,
Die de dag nog baren kon.
't Wichtje aan's moeders borst gelegen,
Dartelde in dit zingenot.
Veelen lonkte nieuwe zegen
In een' blijde toekomst tegen;
En d'eilend' ling had vertroosting
In de hoop op beter lot."
(freie Übersetzung: Andere, deren froher Morgen in stiller Ruhe begann, machten
Pläne, hatten Sorgen - für den Abend, für den Morgen, unbekümmert über Katastrophen
, die der Tag noch gebären könnte. - Das kleine Kind fühlte sich an der
Mutterbrust wohl. Viele sahen voller Zuversicht und Freude ihrer Zukunft entgegen
und der Arme hoffte auf ein besseres Schicksal.)
Für uns sind aber die Predigten jener Zeit von besonderer Bedeutung: An den
Sonntagen 18. und 25. Januar wurden in Leiden an verschiedenen Orten Dankgottesdienste
abgehalten; man dankte Gott, dass man überlebt hatte. Zahlreiche Predigten
wurden sogar gedruckt und erschienen in bedeutenden literarischen oder
theologischen Zeitschriften. Die wichtigste Frage war die: Ist die Katastrophe eine
Strafe Gottes? Zu den Theologen, die diese These vehement ablehnten, gehörte
der Rotterdamer Pfarrer Jan Scharp: „Sohn der Vergänglichkeit! Stecke deine Nase
in den Staub. Wurm der Erde! Dringe nicht in das Geheimnis des Himmels ein!
Solltest du dich an den Plan der Unzugänglichkeiten wagen! (...) Tausendmal hat
die Welt gejammert beim Gefühl der Eitelkeit ihrer Geschöpfe, (...) bei den Geiseln
der Tyrannen (...), aber tausendmal hat sich danach immer wieder bestätigt:
Gott hat alles wohlgetan." Und genau diesen Gedanken kennen wir aus Hebels
Leiden-Geschichte: „Daß walt Gott"! betet einer der Bürger Leidens, nicht wissend
, was Gott mit ihm an diesem Tage noch plant...
Gehen wir diesem Gedanken in Hebels Predigten nach, so werden wir erstaunlich
schnell fündig! Schon in Hebels Grenzacher Osterpredigt vom 24. März 1788
hören/lesen wir: „Wenn wir glauben am verlassensten zu seyn, so ist er (Gott) mit
seinem Trost am nächsten. Er kennt die rechten Freudenstunden" - eine Zeile aus
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