http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2016-01/0115
der Gegend östlich von Wien wird er im Sommer 1941 nach Paris verlegt.
Ibenthaler hat dort die Gelegenheit, als Soldat im von den Deutschen besetzten
Frankreich die private Academie de la Grande Chaumiere am Montparnasse zu besuchen
, wo eigens ein Atelier für deutsche Künstler in Uniform eingerichtet, worden
war.
Ibenthaler schildert in seinen Erinnerungen diesen Aufenthalt, als sei er als Student
oder Tourist und nicht als Besatzer an dieser Kunstschule. Mit der größten
Selbstverständlichkeit kann er den Unterricht eines Fauvisten in Anspruch nehmen
.
Diese Maler bildeten eine kleine Gruppe gleichgesinnter Künstler, die 1905 im
Herbstsalon zum ersten Mal ihre Werke zeigten und die der Kritiker Vauxcelles
herabsetzend wegen ihrer heftig vorgetragenen, stark farbigen Malerei als
„Fauves" bezeichnete, was soviel heißt wie „wilde Tiere". Und damit hatte die Bewegung
ihren neuen Namen. Matisse, Dermin, Vlaminck und der junge Braque
zählten zu ihnen, und man kann sagen, dass diese Ausstellung die erste künstlerische
Revolution des 20. Jahrhunderts auslöste.
Wichtig ist für uns der Hinweis auf die Geistesverwandtschaft und auf die daraus
resultierende entsprechende Bildsprache der Fauves und der deutschen Expressionisten
. Denn nur wenn man diese Gemeinsamkeit sieht, wird die Absurdität
jener Situation augenfällig, in die Ibenthaler als Folge der Einwirkungen von
Krieg und Politik geraten war:
Mit derselben Kunst des Expressionismus, die wenige Jahre zuvor in der bereits
erwähnten Münchner Schau „Entartete Kunst" gezeigt wurde und die unter einem
unvorstellbaren propagandistischen Aufwand über 2 Millionen Ausstellungsbesuchern
als volksfeindliche und modernistische Schmiererei vor Augen geführt und
in aller Gehässigkeit diffamiert wurde, mit dieser Kunst kann sich der Besatzungssoldat
Ibenthaler unter der Obhut der deutschen Wehrmacht ohne jede Zensur im
künstlerischen Studium vertraut machen.
Ibenthaler kennzeichnet diesen Tatbestand als Zufall oder Schicksal. Seine persönlichen
Aufzeichnungen geben nicht den geringsten Hinweis, ob ihm selbst dieser
irrwitzige Widerspruch aufgefallen sei.
Das verwundert umso mehr, als diese Situation damals von politischer Brisanz
war und den Künstler, wie sich zeigen wird, existenziell in hohem Maße betraf.
Denn hier in Paris fällt für den jungen Ibenthaler die fast dramatisch zu nennende
Entscheidung, die ihn aus seinem Interessenkonflikt herausführt und ihn für
sein ganzes künstlerisches Leben einschneidend beeinflusst und prägt.
Alle Anregungen der Kunst des ausgehenden 19. und der Anfänge des 20. Jahrhunderts
, sei es die Malerei Cezannes, van Goghs, der französischen oder der
deutschen Expressionisten, nimmt er „wie ein ausgetrockneter Schwamm" - so
Ibenthaler selbst - in sich auf.
Ibenthaler übersteht den Krieg und die Wirren der Wochen danach. Nach kurzer
amerikanischer Kriegsgefangenschaft gelangt er über Umwege in seine Heimatstadt
Lörrach. Er steht am Anfang seiner Künstlerlaufbahn.
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