http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2016-01/0122
Eine Ideologie, die diesen Anforderungen entsprach, lieferte bereits die Romantik
im 19. Jh. Sie war eine Geistesbewegung, die den individuellen und freien
künstlerischen Ausdruck zur Norm erhob. Dadurch war der Künstler von gesellschaftlichen
Vorhaben und Bindungen befreit.
Wenn Ibenthaler sagt, dass „die innere Notwendigkeit die einzige Richtschnur
für das künstlerische Tun sei", so befindet er sich exakt in der ideologischen Tradition
, die in der Geisteshaltung der Romantik ihren Anfang nahm.
Nun darf nicht übersehen werden, dass diese Befreiung von gesellschaftlichen
Abhängigkeiten unter Berufung auf die innere Notwendigkeit als einziges Gesetz
künstlerischen Schaffens in Folge mit einem belasteten Verhältnis des Künstlers
zur Gesellschaft erkauft werden musste. Kritik, Unverständnis, Ablehnung sind die
geläufigen Reaktionen, die den Künstler treffen.
Paul Klee beklagt die umschriebene Situation mit den Worten: „Uns trägt kein
Volk!"-
Der Künstler sieht sich gezwungen zur Akzeptanz einer Lebensform, die durch
Entfremdung, übertriebenen Individualismus bis hin zum Narzissmus gekennzeichnet
ist.
Die Mitglieder der Gesellschaft akzeptieren die Lebensform des Künstlers als
Stereotyp.
Vereinfacht gesagt gilt der Künstler in der Allgemeinheit als Einzelgänger, Exzentriker
, Spinner. Man lässt ihm seine Narrenfreiheit und meint etwas freundlicher
ausgedrückt, er sei ein schwieriger Charakter.
Das von Ibenthaler verfasste Buch „Erinnerungen, kritische Betrachtungen, Sentenzen
", das erst vier Jahre vor seinem Tod entstand, bietet eine lesenswerte, rückblickende
Gesamtschau auf sein Leben, die sich stellenweise, - und vom Autor
vermutlich nicht beabsichtigt, - wie die anrührende Psychographie einer Künstlerpersönlichkeit
liest.
Es liefert somit hinsichtlich einer Untersuchung, inwieweit psycho-soziale Bedingungen
Ibenthalers Kunst beeinflussten, eine Fülle interessanten Materials.
Es stellt sich nun die Frage, ob Variablen der Entfremdung, wie sie in allgemeiner
Sicht bereits charakterisiert wurden, für das unbeirrte Bewahren der spätexpressionistischen
Bildsprache bei Ibenthaler von Belang sind.
Einige Aspekte aus Ibenthalers biographischen Aufzeichnungen sind daher in
den Mittelpunkt unserer Betrachtung zu rücken.
Ibenthaler verbringt seine Kindheit und Jugend vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen
Notlage der 30er Jahre in ärmlichen Verhältnissen. Durch seine Eltern
erfährt er eher verständnisloses Dulden als eine aktive Förderung seiner künstlerischen
Ambitionen. Der Krieg raubt ihm wesentliche Lebens- und Entwicklungsjahre
zur Konsolidierung seiner Persönlichkeit. Wie er bleibt eine ganze Generation
nicht ohne psychische Schädigung zurück.
Auf der Grundlage einer einfachen Schulbildung erwirbt sich Ibenthaler aus eigenem
Antrieb eine umfassende Allgemeinbildung und schafft sich ein Weltbild,
durch das er seine Kunst begründet. Trotz Ausstellungsmöglichkeiten und offiziel-
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