http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/mgl-2017-01/0034
Manche dieser publizierten Memoiren gehen über eine rein familiäre Sicht der
zurückgelegten Lebensstrecke hinaus und bieten interessante Einblicke in die soziale
und politische Situation der jeweilig erlebten Zeitumstände.
So auch die Aufzeichnungen von Friedrich Ludwig Raupp. Sie drehen sich um
den „Schwerpunkt" seines Lebens, die Jahre 1848/49, die er als Pfarrverwalter in
Mappach erlebte.
Als junger Theologe, der nach Studium und Vikarszeit beim eigenen Vater endlich
die ersehnte erste Pfarrstelle und damit auch die Möglichkeit zur Familiengründung
erhielt, geriet er in den Strudel der revolutionären Umtriebe, die die Dörfer
des Markgräflerlandes erfassten. Theologisch ordnete sich Raupp in diesen Jahren
den „Lichtfreunden" zu. Zu ihnen zählte sich eine große Zahl der damals jüngeren
Pfarrer, die einen milden Rationalismus vertraten. Raupp wurde in seiner Gemeinde
denunziert und der Sympathie mit den Revolutionären beschuldigt. Gemeindeglieder
forderten die Suspendierung ihres Pfarrers. Bei einer einberufenen Visitation
stellten sich die Anschuldigungen als haltlos heraus. Trotzdem musste Raupp 1849
Mappach verlassen und wurde nach Ittersbach bei Pforzheim versetzt.
Diese Anordnung des Oberkirchenrates erlebte er als ungerecht. Um des lieben
Friedens willen sei er geopfert worden. Seine glaubensmäßige Einstellung, die vom
Rationalismus geprägt war, erfuhr in den ersten einsamen Wochen in Ittersbach eine
massive Neuausrichtung. Am Bußtag des Jahres 1849 erlebte er seine Bekehrung.
Das Lied J.N.F. Brauer's „Gott mein Trost und mein Vertrauen" (EG 639) wurde
sein Lieblingslied, in dem er sich als positiv gläubiger Christ, der sich ganz seinem
Gott und Heiland zu eigen gab, wieder erkannte.
Aus einem freisinnigen, nicht mehr ganz jungen Pfarrer wurde ein bekehrter
„gläubiger" Pfarrer. Der vom Rationalismus geprägten Aufbruchstimmung folgte
die Flucht in eine supranaturale Frömmigkeit.
Die Aufzeichnungen Raupps atmen wohltuende Nüchternheit. Stereotype, wie sie
in vielen pietistischen Lebensberichten zu finden sind, fehlen bei ihm. Stattdessen
rückt die Situation der größer werdenden Familie, die von harten Schicksalsschlägen
, dem Tod von drei Kindern, nicht verschont bleibt, in den Mittelpunkt. Besonders
in seiner Wirkungsstätte Nimburg erfährt er die soziale Not seiner Gemeinde
und schildert, wie er strukturelle Maßnahmen ergreift, um nachhaltig Verarmung
und daraus resultierende Folgen zu besiegen.
In seinem Lebensbericht geht es weniger um den Nachweis des eigenen frommen
Lebenswandels, als vielmehr lebendig das familiäre Ergehen und die ökonomischen
Verhältnisse zu schildern. So folgt Raupp den üblichen religiös-literarischen Schablonen
pietistischer Autobiographien nicht. Sein Denken zeichnet sich einerseits
durch Bibelfrömmigkeit aus, das andererseits liberalen badischen Geist atmet.
Anmerkung
Wertvolle Hinweise zur Einordnung der Rauppschen Autobiographie verdanke ich den Ausführungen von
Th. K. Kuhn: Ein Leben im Kandertal 1814 -1850 - Erinnerungen von Pfarrer Friedrich Ludwig
Raupp (1814 - 1899) in: Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 1.2007 S. 183 ff.
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