http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1952/0087
2. Der See im Omerstkopf
Im Schutz des großen Steines an der Halde vor der Omerst hatte
ein Riese eine Hausung gebaut für sich und sein Weib. Wie hieß er
doch? Manche wollen wissen, daß er Ihme genannt war; doch ist das
gar nicht sicher, denn wie er sein Weib gerufen hat, ist in niemandes
Munde, obwohl er in gutem Gedenken geblieben ist.
Nach vielen hunderten zählten des — des Riesen Herden, denn
rings um den Stein war weithin fette Weide: Aus dem Fuß der
Omerst rann ein Bächlein über die Triften, es büßte selbst in den
trockensten Sommern nichts von seinen Wassern. Es zwiete sich
oberhalb des Steines und versorgte so die Bauern unterm Buchkopf
wie auch die, so mehr gegen Abend wohnten, noch ausreichend.
Dafür zinseten sie ihm von dem, was ihre Gütlein trugen an Frucht
und Fleisch und Honig. Der Riese aber war des Wassers wegen der
Omerst dienstpflichtig: Gleich der Grinde hatte auch die Omerst
ihren See, nur daß der Mummelsee seinen Überschuß in die Acher
ergießt, während der Omerstsee durch eine Öffnung am Grunde
seinen Abfluß hatte. Dieses Loch nun mußte der Riese mit einer
Stange, so aus dem entasteten Stamme einer alten Weißtanne gebildet
war, von faulendem Blattwerk und morschendem Fallholze
frei halten, auf daß nicht der See über seine Ufer trete, Lücken in
sie schneide und Runsen in des Berges Flanken reiße, also daß sich
des Sees Spiegel übermäßlich gesenkt hätte.
Durch viele Jahre hatte der Riese dieser seiner Pflicht guten Willens
gewaltet. Sie war auch nicht schwer gewesen, solange er im
Herbst und zur Zeit der Schneeschmelze zu Berge gestiegen war und
den Blätterfall und den Astfall aus dem Grunde des Sees geschafft
hatte. Aber weil er sich von Jahr zu Jahr den Bauch fetter fraß und
schließlich gar den Metkrug nimmer vom Maule brachte, ward er
faul und oblag seiner Pflicht am Omerstsee nur noch unlustig und
nicht zu gemessener Zeit, also daß das Bächleins Wasser nur noch
dürftig rann und die Herden ob des geringen Futters Not litten.
Schlimmer war, daß auch die Bauern nicht mehr im selben Maße
Zinsen konnten, als da ihre Heimstätten und ihre Matten mit dem
Wasser aus dem Omerstsee ausreichend versorgt worden waren.
Der Riese ergrimmte ob der niederen Ablieferungen der Zinsbauern
und forderte, weil er weder seiner Pflicht gedenken, noch sich
Mäßigung auferlegen mochte, schon im Winter den erst für den
nächsten Herbst fälligen Zins im voraus. Die Bauern, die ihn zu
weigern wagten, erschlug er mit seiner Keule. Die Not wuchs, da
87
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/ortenau1952/0087